Geburtsbericht: Xaver und die Kiwi-Saugglocke

Der Einladung, auf Hebammenblog.de über Geburten zu berichten, sind unglaublich viele von euch gefolgt. Eine von ihnen ist Isabel. Sie schrieb mir:
“Ich finde deine Idee, schonungslos über Geburten zu schreiben, toll! Ich erzähle die Geschichte der Geburt meines Sohnes total gerne. Eine Geburt ist ein solches Wunder und jede verläuft komplett anders. Ich habe mir im Vorfeld viele Geburts-Stories angehört und fand es beruhigend, mir dabei auch die aberwitzigsten Details anzuhören.”

Wenn ihr auch Lust auf Details habt, dann ist dieser Bericht genau richtig. 😉 Er ist, wie auch die Geburt selbst, sehr lang, aber Isabel beschreibt das Geschehen und ihre Gedanken dazu sehr schön und fesselnd. Meine Erläuterungen und Kommentare gibt’s dazu “wie immer” in lila.

 Xavers Geburt

28.03.2013
Xavers errechneter Geburtstermin ist der 02.04. und am Vormittag gehe ich mit meiner dicken Kugel noch durch das eisigkalte Kreuzberg einkaufen und jammere am Telefon einer Freundin ins Ohr: „Das Warten nervt.“

Dabei war der Termin ja noch gar nicht erreicht. 😉  Das geht heute vielen Frauen so und ist gar nicht so untypisch…

Nachmittag
Die Hebamme kommt vorbei, tastet meinen Bauch ab und sagt: Das dauert noch. Sie rät mir, die Vorwehen nach wie vor zu ignorieren, mich nicht verrückt zu machen. Beim Abtasten sagt sie: „Jetzt hat er aber wirklich die perfekte Größe, nicht zu groß – nicht zu klein.“ Und in Richtung Bauch: „Komm mal raus Kleiner, ist schön hier!“

Mann kann’s ja mal versuchen. Ich kenne Eltern, die dem Kind symbolisch den Mietvertrag für „Wohnen im Bauch“ gekündigt haben, damit es los geht. Manchmal klappt das… 

19 Uhr
Mein Freund legt sich für ein Nickerchen in unser Bett. Er muss nachts noch arbeiten. Ich lege mich zu ihm. Es ziept schon den ganzen Tag im Unterleib, aber ich denke: „Ignorieren“, wie es mir gesagt wurde. Und schon kommt die erste richtige Wehe. Sie hat einen Start, einen Höhepunkt, sie drückt ins Becken, dann flacht sie wieder ab. Ich weiß sofort, dass sie anders ist, als die Vorwehen. Nach einer Viertelstunde kommt noch eine, dann noch eine. Vier Stück und ich bin sicher: „Es geht los.“ Weil die Hebamme aber vor ein paar Stunden noch so sicher war, dass es nicht los geht, schalte ich weiterhin auf: „Mal sehen…“

Das ist genau richtig, solange die Wehen noch nicht regelmäßig kommen. Wenn es geht: Kraft sammeln und ausruhen!

20 Uhr
Wir kochen. Alle 10 bis 20 Minuten hänge ich mich über den Küchentisch, drücke den Po nach außen, genau so wie im Geburtsvorbereitungskurs gezeigt. Mein Freund drückt mir auf’s Becken oder wackelt wahlweise meine Pobacken. Wir lachen viel. Und essen noch zusammen. Viel Appetit habe ich nicht, aber ich denke: „vielleicht die letzte Mahlzeit für eine ganze Weile“.

Mangelnder Appetit ist ein gutes, aber nicht sicheres Zeichen für den Geburtsbeginn. Wenn möglich, sollte man noch essen, um sich für die Geburt zu stärken.

21 Uhr
Badewanne. Echte Wehen hören in der Wanne nicht auf, so wurde es mir immer gesagt und so ist es auch. Ich setze mich während der Wehe auf und veratme sie. Noch sind die Wehen erträglich. Ich konzentriere mich währenddessen, aber ich kann zwischendrin noch lachen und reden. Ich hatte mir eine Wassergeburt gewünscht und die Hebamme meinte auch: Du bist der Typ für die Wanne. Auch meine Mutter hat während meiner Geburt viel Zeit im warmen Wasser verbracht, deshalb hatte ich das so im Kopf. Sonst war ich aber sehr offen, was den Geburtsverlauf angeht. Ich wollte es so natürlich wie möglich machen, hatte mich aber trotzdem für eine Beleghebamme und ein Krankenhaus entschieden. Wenn ich es nicht mehr aushalten würde, war ich auch für eine PDA offen. Ich hatte höllische Angst vor Geburtsverletzungen und habe deshalb viel den Damm massiert. Ich freute mich fast ein bisschen auf die Geburt. Für mich war es ein großes Abenteuer, durch das mein Freund und ich zusammen gehen würden.

Toll, perfekte Voraussetzungen!

22:30
Die Wehen kommen etwa alle sieben Minuten. Ich beschließe, Barbara anzurufen. Ich erzähle ihr alles, aber sie ist skeptisch: “Das dauert noch”, sagt sie. Ich soll noch mal in die Badewanne und dann versuchen, zu schlafen.

Manchmal hören wir es schon an der Stimme am Telefon, dass die Wehen noch nicht wirklich ausreichend sind, um den Muttermund zu öffnen. Das ist für die Frauen oft frustrierend, da sie ja schon deutlich leiden.

23:30
Ich tue wie befohlen. Baden. Aua! Langsam werden die Kontraktionen stärker und schmerzhafter. Außerdem bin ich ein bisschen erkältet und habe nicht das Gefühl, dass das ständige Baden gut tut. Mental bin ich sehr gefasst. Ich werde in Stress-Situationen oft sehr ruhig, und warte einfach ab. Mein Freund geht kurz raus und sagt seine Schicht ab. Jetzt haben wir quasi die Ruhe vor dem Sturm.

Eine Erkältung ist zur Geburt natürlich ungünstig. Das kann man aber leider nicht wirklich ändern. Wenn aber eine Erkältung um den Geburtstermin im Anflug ist, am Besten sofort drauf reagieren, dann geht’s vielleicht schneller wieder weg und schwächt nicht so. Manchmal sind dann tatsächlich Nasentropfen nötig, denn gutes Atmen ist unter der Geburt ja bekanntlich wichtig! 😉

01:30
Wir liegen im Bett und versuchen zu schlafen. Hoffnungslos. Die Wehen kommen alle fünf bis sieben Minuten. Sie werden schmerzhafter. Ich hocke im Vierfüßlerstand auf dem Bett und sage immer wieder: „Es kommt wieder eine.“ Mein Freund reagiert und drückt mir auf das Steißbein. Diesen Ablauf sollten wir in dieser Nacht noch unendliche Male wiederholen.

2:00
Ich versuche wieder Barbara zu erreichen. Ihr Handy ist aus! Ich spreche auf Band: „Wir fahren ins Krankenhaus“.

2:30
Im Krankenhaus kommt kurz keine Wehe mehr. Das sei normal, sagt man uns.

Die Klinikankunftspause ist bekannt und berüchtigt. Es passiert oft, dass Frauen, sobald sie die Klinik erreichen, plötzlich keine Wehen mehr haben. Da sieht man mal, welche große Rolle die Psyche spielt. Sei es, weil die „Sicherheit der Klinik“ einen entspannt oder vielleicht, weil die Umgebung fremd und unheimlich ist.
Vielleicht ist das aber auch noch so ein übrig gebliebenes „Steinzeitgen“ und die Frauen konnten früher bei Gefahr, oder nicht optimalen Bedingungen, die Geburt ein wenig verschieben !?

3:00
CTG – es sind Geburtswehen. Nur meine Beleghebamme ist immer noch nicht erreichbar. „Komisch“ sagen alle, das gibt es eigentlich nie. Tja! Die Klinik-Hebamme untersucht zum ersten Mal den Muttermund. Das tut höllisch weh! Ich schreie leise auf. Ergebnis: Muttermund hart und zu. Bisher hat sich also noch nichts getan. Sie schlägt wieder die Wanne vor. Ich stimme natürlich zu – ich hatte mich ja eh in der Wanne gesehen. Dazu gibt sie mir ein Zäpfchen.

Wahrscheinlich Buscopan, das wirkt etwas entkrampfend und macht den Muttermund weich.

In der Wanne fühle ich mich unwohl. Bei jeder Wehe suche ich nach einer bequemen Position und finde keine. Ich veratme die Wehen nach wie vor relativ ruhig. Mir fällt ein, dass meine Mutter mir erzählt hat, sie habe laut geschrien und das als entspannend empfunden. Die nächste Wehe schreie ich laut. „Auuuuuaaaaaaa!“ Mein Freund ist entsetzt: „War die besonders schlimm?“ Nein, ich wollte nur mal versuchen, wie es mit Schreien ist; aber atmen ist besser. Aber meine Erkältung macht sich bemerkbar und ich bin schon sooo müde! Mein Hals kratzt. Also raus aus der Wanne.

Ob man sich in der Wanne wohl fühlt oder nicht, ist Typsache, hat aber nichts damit zu tun, ob man im „normalen Leben“ gerne badet. Deshalb ist es immer gut, das mal auszuprobieren. Aber manchen Frauen fehlt im Wasser einfach die Bodenhaftung und sie fühlen sich dann dort eher unwohl.

Das Zäpfchen wirkt leicht abführend. Das fühlt sich erleichternd an; aber auch nur kurz. Unangenehm finde ich, dass ich auch auf der Toilette Wehen habe und dann auf dem Krankenhausklo-Boden hänge. Ich wäre gerne wieder zuhause.

3:30
Ultraschall. Xaver wird auf 3200 Gramm geschätzt.
Wir werden in einen Kreissaal verlegt – auf meinen Wunsch in einen mit Wanne.

4:00
Alle paar Minuten eine Wehe, dazwischen Sekundenschlaf. Mein Freund sitzt neben mir, ich liege auf einem Krankenhausbett. Bei jeder Wehe krieche ich auf alle Viere. „Kommt wieder eine“. Er fragt jedes Mal: „Drücken?“ Ich gebe immer wieder Anweisungen: „Stärker, nein, aua!“ Irgendwann geht er runter, um einen Kaffee zu holen. Die Hebamme untersucht mich in dieser Zeit. Das tut SO weh! Immer noch nichts. Muttermund zu, keinen Millimeter geöffnet. Dabei wird mir wieder versichert, dass ich gute, starke Wehen habe und dass ich alles richtig mache.
Ich muss mich während der Untersuchung wieder umdrehen und die Wehe veratmen. In diesem Moment sehe ich viel bräunlichen Schleim unter mir. Igitt. War das der Schleimpfropf? “Ja”, sagt die Hebamme. Obwohl mir wenig peinlich ist, bin ich froh, dass mein Freund genau in diesem Moment nicht da ist. Ich muss wieder pinkeln, schaffe es aber auf der Toilette nicht die Hose wieder hochzuziehen, als die Wehe kommt. Sitze also mit nacktem Po auf allen Vieren auf dem Toilettenboden und fühle mich elend.

Oh je! Sicher ein Tiefpunkt. Wenn der Muttermund trotz regelmäßiger, kräftiger Wehen nicht aufgeht, und auch das Baden nicht geholfen hat, bringt manchmal nur noch ein Schmerzmittel den nötigen Entspannungseffekt.

07:00
Ich denke: „Verdammt. Schon 12 Stunden.“ Da kommt Barbara endlich! Sie entschuldigt sich, es ist ihr wirklich peinlich. Sie sagt, das Handy ist wohl ausgegangen. Mir ist das egal und eigentlich bin ich froh: sie ist jetzt wenigstens ausgeschlafen!
Sie untersucht mich. Muttermund zu. Ich bin frustriert, liege auf der Seite und warte auf die nächste Wehe. All die Arbeit und noch kein Erfolgserlebnis! Barbara streicht mir über den Kopf und sagt: „Du machst das super. Genau richtig.“ Kurz darauf schlägt sie vor eine PDA zu bestellen. Sie weiß, dass ich keine PDA wollte und von den Schmerzen her halte ich es auch noch aus! Barbara sagt aber, dass der Muttermund sich mit einer PDA oft öffnet, weil man sich dann entspannt.

Ich bin ja nicht wirklich ein Fan von schnellen PDA’s. Aber in so einem Fall von stundenlangen, ineffektiven Wehen, kann die PDA wirklich die letzte Rettung sein – ich glaube, ich hätte sie auch empfohlen.

8:00
Ich mache das mit der PDA. Mein Traum von der Wanne ist ausgeträumt, denn mit PDA geht das nicht. Ich habe eine Riesenangst vor der PDA. Ich hasse Spritzen und auch die Vorstellung der Betäubung macht mir Angst. Der Anästhesist ist locker flockig, super gelaunt. „Keine Angst“, sagt er. Meinen Freund schickt er aber raus.
Ich muss ein Häubchen anziehen und mich hinsetzen. Mir wird ein Zugang gelegt und ein wehenhemmendes Mittel gegeben. Ich zittere vor Angst und Müdigkeit. Barbara streichelt meinen Kopf. Legt ihre Stirn an meine. Der Anästhesist erklärt was er macht – ich bin nur mit atmen und versuchen, nicht zu zittern beschäftigt. Er sagt, er lege mir eine „Walking PDA“. Das heißt, ich sollte meine Beine noch spüren.
Ich darf mich wieder hinlegen und fühle, wie das Schmerzmittel durch mich durch läuft. Es läuft mir wirklich kalt den Rücken runter. Unangenehm. Kurz danach kribbelt es im rechten Bein. Man spritzt mir immer wieder etwas Kaltes auf den Bauch. Ich spüre nach wie vor ziemlich viel Schmerz und Druck.

Mit dem Kältereiz testet man, ob die PDA gut sitzt. Denn die Fähigkeit Kälte wahrzunehmen, geht durch die Betäubung als Erstes verloren.
Dass dein Freund raus muss, ist nicht unbedingt üblich. Er hätte wahrscheinlich auch bleiben und „Händchen halten“ können. Dass kann aber von Klinik zu Klinik unterschiedlich gehandhabt werden. Ich wüsste allerdings keinen wirklichen Grund, warum er raus sollte…

9.00
Der Muttermund ist, sage und schreibe, acht Zentimeter geöffnet! Ich bin so erleichtert und so froh.

Ja, das ist der PDA-Entspannungseffekt. Hat also gut funktioniert! 😉

10:00
Die PDA-Wehen sind ein Spaziergang im Gegensatz zu vorher. Ich liege auf der Seite und auf allen Vieren. Mein Freund sitzt neben mir. Ich war mir sicher, ich würde auf allen Vieren gebären. Das soll auch dammschonend sein und ich wollte so gerne ohne Geburtsverletzungen durchkommen…
Zwischendurch schlafe ich immer wieder ein bisschen. Barbara kommt alle Viertelstunde oder so rein und checkt. Sie sagt: „Der macht das super. Er arbeitet sich immer weiter ins Becken vor.“ Unter mir ist immer wieder viel Blut und allerlei anderes Zeug. Aber die Unterlagen werden immer wieder gewechselt – ich bekomme das kaum mit.
Barbara sagt, ich müsse dringend mal pinkeln. Die Blase sei voll und das bremse den Geburtsfortschritt. Ich hänge auf allen Vieren auf dem Bett und kann natürlich, wegen der PDA, nicht pinkeln. Sie macht den Wasserhahn an und sieht mich fragend an. Wir lachen alle drei. Ich bin froh, dass alles so entspannt ist jetzt. Sie muss mir einen Katheter legen. Sie macht das aber so nebenbei, dass ich es gar nicht so schlimm finde. Ich bin erstaunt, als ich höre, wie viel Pipi da raus kommt. Ich spüre wohl doch weniger als ich denke.

Dass man mit der PDA nicht mehr pinkeln kann und auch gar nicht merkt, dass man muss, ist ganz normal.

Xavers Herztöne sind während dem ganzen Prozedere übrigens unverändert stabil. Er arbeitet sich ganz alleine vor und hält super durch!

11:00
Ich liege auf der Seite, ein Bein nach oben. Ab und zu sagt Barbara: „Jetzt ein bisschen mitpressen.“ Dann sagt sie: „Ich kann den Kopf schon sehen! Ganz viele dunkle Haare!“ Ich muss bei der Vorstellung schon fast weinen. Er ist wirklich bald da! Und er hat dunkle Haare!!! Mein Freund darf auch gucken. Gemein, dass ich es nicht sehen darf.
Ich spüre übrigens nach wie vor jede Wehe und langsam werden sie auch wieder richtig stark. Wahrscheinlich, weil das Schmerzmittel nachlässt. Der Druck in den Rücken ist  fast unerträglich. Ich spüre ihn natürlich nur links, aber da fühlt es sich an, als würde ich gleich zerplatzen. „Um 12 Uhr ist er da!“ sagt Barbara. Draußen Schneesturm. Ich hatte mir ein Frühlingskind gewünscht und vorgestellt…

11:45
Presswehen. Ich liege auf dem Rücken. Das hätte ich nie gedacht, aber Barbara sagt, es sei die beste Position in diesem Fall. Ich greife meine Beine und ziehe sie fest heran. Sie gibt mir immer wieder Anweisungen: „Pressen!“ Ich schreie und presse. Es ist nicht leicht, wirklich da unten reinzupressen. „Da muss eine Melone raus!“ sagt sie. Dieses Bild habe ich jetzt vor Augen. Da muss eine Melone raus. Pressen!

12:00
Pause – Wehe. Pressen – schreien – Pause – durchatmen. Warum kommt da nichts?
Zwischen zwei Wehen läuft Barbara raus und holt einen Arzt. “Das heißt nichts Gutes”, denke ich. Der Arzt kommt, checkt kurz die Lage und sagt dann: „Bei der nächsten Wehe schmeiße ich mich auf Sie drauf, nicht erschrecken.“ Ich bin gefasst. Zack. Wehe! Er schmeißt sich, wie versprochen, mit seinem gesamten Gewicht auf meinen Bauch, drückt mir auf den Magen, es tut weh. Ich schreie laut und flehend. Man muss meinem Freund einen Stuhl bringen, er stand rechts neben mir. Nun sitzt er und sieht völlig entsetzt aus. Das muss alles ziemlich barbarisch aussehen!
Diagnose: Er klemmt. Wir müssen eine kleine Saugglocke anwenden.

Die “Kiwi” ist eine kleine Saugglocke. Sie wird angewendet, um wirklich nur noch ein winziges Bisschen nachzuhelfen.

Ich habe Angst. Schaue meinen Freund angsterfüllt an: „Oh Gott, Saugglocke!“ Für mich bedeutete das, alles wird zerreißen…

Nein, das heißt es nicht. Bei einer Geburt mit PDA ist häufiger eine Saugglocke nötig, da das Pressen oft weniger gut funktioniert. Vielleicht haben aber auch die Wehen einfach nicht mehr ausgereicht. Die PDA macht ja in der Regel sogar einen Wehentropf nötig.

Der Arzt presst die Saugglocke zwischen meine Beine. Ich schreie Auauauaua, dabei tut es gar nicht weh. Es ist einfach nur NOCH MEHR Druck! Die Wehe kommt, Barbara schmeißt sich diesmal auf mich drauf, ich schreie, presse, bin wie in Trance, spüre ein FLATSCH, sehe kaum was, bin wirklich wie benebelt.

12:09
Xaver ist draußen, ich sehe, wie sie ihn rausziehen, sehe meinen Freund. Er weint und schluchzt wie ein Schlosshund. Ich bin nur überrascht und total neben mir. Eine Sekunde später liegt das kleine Bündel auf mir. Barbara hat ihn durch mein T-Shirt hindurchgeschoben. Er ist warm, nass, weich, er fühlt sich so toll und so real an. Ich habe seinen kleinen Po in meiner Hand und plötzlich wird es so real. Ich konnte mir nie vorstellen, wie dieser kleine Mensch da in meinem Bauch liegt, jetzt ist alles klar. Ich bin zu überwältigt um zu weinen, ich sehe ihn nur an. Obwohl ich weiß, dass Babies am Anfang blau sind, denke ich: „Huch, der ist aber dunkel.“ Dann denke ich: „Oh mein Gott, wie hübsch er ist. Das perfekte Baby.“ Ich bin sofort verliebt in ihn! Er schreit seinen ersten, markerschütternden Schrei.
Warum Xaver mit der Kiwi-Saugglocke geholt werden musste, ist jetzt auch klar: Er wollte mit der Faust zuerst raus. Hatte sein geballtes Fäustchen an die Backe gepresst. An seinem Kopf sieht man die Saugglocke übrigens fast gar nicht. Ich liege nur da und starre dieses Kind an. Ich bekomme nichts mit. Der frisch gebackene Papa schneidet die Nabelschnur durch, man setzt meine Beine auf, um mich zu nähen. Es ist ein bisschen eingerissen, nur leicht. „Zwei Stiche“, sagt der Arzt. Komisch, davor hatte ich so Angst, jetzt ist es egal. Ich habe nur Augen für Xaver.

13:00
Gewaschen, gemessen, gewickelt, bringen sie ihn zu mir. Das erste Andocken klappt super. Er nuckelt fleißig. Barbara presst meine Brustwarze etwas rabiat zusammen und erklärt mir danach mehrmals penibel, wie ich ihn anlegen soll.

Es ist gut, wenn man beim ersten Anlegen gleich darauf achtet, dass das Baby „richtig“ saugt. Dann klappt es meistens auch danach gut. Aber manche Kinder gewöhnen sich gleich erstmal was Falsches an. Dann wird die Brust sehr schnell wund. Rabiat muß es vielleicht nicht unbedingt sein.

Barbara ermutigt uns nach Hause zu gehen.

Normalerweise kann man nach vier Stunden ambulant nach Hause gehen. Nach einer PDA muß natürlich erst das Gefühl in die Beine zurück gekehrt und der Kreißlauf stabil sein.

Wir warten bis die PDA komplett draußen ist. Xaver liegt auf mir und schläft. Er ist so süß, so hübsch, er zuckt immer wieder im Schlaf und weint leise. Klar, er muss das auch erst mal verarbeiten. Für ihn war die Geburt wahrscheinlich härter als für mich!!

Wirklich? Das müssen die Endorphine gewesen sein. 😉 Frauen gehen durch die Hölle und hinterher ist alles rosarot. Das hat die Natur gut eingerichtet, sonst wären wir wahrscheinlich schon ausgestorben 😉

16:00
Ich kann nicht wirklich schnell laufen, mein Becken schmerzt, die Beine sind noch so schwach. Im Taxi starre ich dieses süße Kind an. Xaver schaut mich mit großen Kulleraugen an. Welch ein Wunder!

17:00
Zuhause! Wir sind so glücklich und so froh. Es ist, als hätten wir nie was anderes gemacht: Wickeln, stillen, Kind anstarren. Das Osterwochenende schließen wir uns ein; erst am Montag kommt der erste Besuch. Wir kuscheln, schlafen, erholen uns. Barbara kommt täglich für eine Stunde oder länger. Ich habe die ersten Tage wirklich als wunderschön in Erinnerung! Mein Beckenboden tut weh. Aber ich bin so froh, dass wir gleich nach Hause konnten!

Wenn es einem gut geht, und man eine nachsorgende Hebamme hat, ist es schön, ambulant nach Hause zu gehen. Alternativ gibt es immer häufiger die Möglichkeit, gemeinsam ein Familienzimmer in der Klinik zu beziehen.

Heute
Xaver ist jetzt ein halbes Jahr alt und noch immer habe ich die Geburt sehr positiv in Erinnerung. Das lag vor allem daran, dass ich mich die ganze Zeit über sehr gut umsorgt gefühlt habe und auch daran, dass mein Freund und ich so ein gutes Team waren. Ich hätte es mir natürlicher gewünscht. Aber das war nicht möglich – und ist auch völlig okay so.

Richtige Einstellung

Wow! Also ich denke, dass würden – nach diesem Geburtsverlauf – nicht alle Frauen sagen. Es zeigt sich immer wieder, dass die persönliche Einstellung zur Geburt bei der anschließenden „Bewertung“ eine große Rolle spielt.
Ich denke manchmal, dass eine Geburt echt ein Traum war und die Frau selbst ist aber total unzufrieden, da ihre Vorstellung eine Andere war.  Und manchmal ist die Frau zufrieden, ich aber denke, „das war echt furchtbar!“
Schön, dass diese lange, anstrengende Geburt so positive Spuren hinterlassen hat!
Liebe Isabel, vielen Dank für deinen schönen und mutigen Bericht!

Isabel hat das Mutter-sein so inspiriert, dass sie sich bis heute intensiv mit den „kleinen Jahren“ beschäftigt. Auf ihrem Blogzine Little Years schreibt sie über ein neues Mütter-Selbstverständniss und Selbstbewusstsein.

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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6 Kommentare
  1. Avatar
    Susanne Leuschner sagte:

    Unglaublich! Mein kleiner Paul, Kind Nr.2, ist heute genau sieben Wochen alt und schläft schnaufend und quietschend hinter mir. Beim Lesen des Berichts habe ich plötzlich wieder ganz real gespürt, wie es sich angefuehlt hat, als Paul nach der letzten Presswehe auf meiner Brust lag. So warm, weich und feucht, als laege er jetzt tatsächlich da. Irre, mir kamen die Traenen vor Rührung. Und dabei konnte ich in der Situation gar nicht weinen, weil ich so erschöpft war.
    Vielen Dank für den intensiven Bericht und diese Erfahrung, die er bei mir ausgelöst hat!
    Ganz liebe Grüße,
    Susanne

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  2. Avatar
    Antje sagte:

    Mir geht es ähnlich. Dieses wohlige Gefühl, wenn dein kleines nacktes Baby auf dir liegt, ist das wunderschönste. Ich werde es nie vergessen und bin froh, diese Erfahrung mit Baby Nr. 2 (heute 5 Monate) gemacht zu haben. Der Notkaiserschnitt bei Nr. 1 hat das leider nicht möglich gemacht und war eher traumatisch als wohlig.
    Toller Bericht.
    Antje

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