Mein Hebammen-Indonesien-Abenteuer: Visiten, Stillberatungen & Babys (7)

Dies ist der siebte Teil der Artikelserie über mein ganz persönliches Hebammen-Indonesien-Abenteuer im Sommer 2019. Nachdem ich im Laufe des ersten Tages endlich die Hospitationserlaubnis für das Krankenhaus erhielt, verbrachte ich dort eine interessant-schlimme Woche.

Im weiteren Verlauf des Internships hospitierte ich also im Krankenhaus. Tatsächlich hospitierte ich eher, als dass ich konkret mitarbeitete: also viel schauen, wenig machen. Das war ganz OK so, denn es war schon wirklich alles sehr fremd und anders. Ständig litt ich mit den Frauen. Der Umgang und das Maß der Aufklärung unterscheidet sich so grundlegend. Es wird sehr über die Köpfe hinweg entschieden und dann einfach und ohne viel Absprache ge- und behandelt. Bestenfalls werden die Frauen darüber informiert, was jetzt gerade mit ihnen passiert.

Anämie + Bluttransfusionen

Jeden Morgen gingen wir auf die Stationen zur Visite. Hier lagen die Frauen, die sich von ihren Geburten – meist Kaiserschnitten – erholten. Viele erhielten Bluttransfusionen, weil sie per se schon in einem ganz schlechten Zustand zur Geburt kamen und durch mehr oder weniger hohe Blutverluste entsprechend transfusionspflichtig wurden.
Der Hb-Wert (Hämoglobin = „roter Blutfarbstoff“, vor allem für den Sauerstofftransport im Blut zuständig) war bei vielen Frauen einfach dramatisch niedrig.
In Deutschland sprechen wir ab einem Hb-Wert kleiner als 10 von einer signifikanten Anämie, die behandlungspflichtig ist. In Medan sah ich häufig Frauen mit Werten von 7 oder 6! Indonesische Frauen sind oft mangelernährt und starten dadurch eben regelmäßig mit diesen katastrophalen Werten in die Geburt. Im Rahmen der Vorsorge wird der Hb-Wert nicht standardmäßig kontrolliert. Laut WHO gehört, speziell in Entwicklungsländern, die postpartale Anämie zu den häufigsten Ursachen mütterlicher Todesfälle.
Bluttransfusionen sind in Indonesien eine Herausforderung, denn es wird nicht sehr viel Blut vorgehalten. Daher werden die Frauen schon zu Beginn der Schwangerschaft dazu angehalten eine Person zu benennen, die ihnen gegebenenfalls Blut spenden kann. Im Mutterpass gibt es dafür sogar einen extra Bereich, in dem das erklärt wird: Aufklärungs-Illustrationen zur Bluttransfusion in indonesischem Mutterpass Vom indonesischen Mutterpass berichte ich in einem späteren Artikel noch etwas ausführlicher. Der ist nämlich echt klasse.

Malika

Eines Tages, wir saßen gerade im Pausenraum, kam eine Krankenschwester mit einem Säugling auf dem Arm ins Zimmer. Ich wunderte mich, denn die Kleine war kein Neugeborenes mehr und wir waren nicht auf der Kinderstation. Auf meine Nachfrage hin wurde mir Malika vorgestellt. Sie war die Tochter von Eltern, die keine Versicherung hatten und die das Geld für die Geburt nicht aufbringen konnten. Deshalb wohnte Malika jetzt seit vier (!) Monaten hier im Krankenhaus. Mir blieb fast das Herz stehen. Kuscheln mit Baby Malika im Krankenhaus von Medan

Ich nahm Malika auf den Arm und spielte etwas mit ihr. Sie war deutlich entwicklungsverzögert. Offensichtlich wurde sie zwar gefüttert und gepflegt, hatte aber keine feste Bezugsperson und auch niemanden, der sich mal längerfristig um sie kümmerte. Sie wurde offensichtlich immer nur im Wiegegriff gehalten, denn in jeder anderen Lage fühlte sie sich unsicher.
Ich kuschelte und spielte mit ihr, bis sie auf meinem Arm einschlief. Mir war zum Heulen zumute. Ich fragte, was die Eltern dem Krankenhaus denn schulden würden. Tatsächlich dachte ich darüber nach, sie frei zu kaufen. Entweder selbst oder irgendwie über einen Spendenaufruf. Durch meine bohrenden Nachfragen änderten sich plötzlich die Aussagen. Erst wurde mir gesagt, die Mutter hätte ja die Möglichkeit nachträglich eine Krankenversicherung zu beantragen. Das wäre gar nicht so teuer und für jeden möglich.
Dann hieß es plötzlich, sie sei eben von ihren Eltern nicht gewünscht. Es war sehr undurchsichtig und beschäftigte mich tagelang. Aber an konkrete Informationen kam ich einfach nicht ran.

Krankenhaus-Baby Malika

Meine Recherche im Netz ergab, dass Malika in Indonesien kein Einzelfall ist. Auch im Onlinenetzwerk oe24 und bei Spiegel online wird von solchen Fällen berichtet. Als mir Robin Lim (die Begründerin der Bumi Sehat Foundation auf Bali) davon erzählt hatte, wollte ich das nicht glauben. Aber jetzt habe ich es selbst erlebt.
Putri berichtete mir, dass es in diesem Krankenhaus etwa 1-2 mal im Jahr eine „Malika“, oder einen „Malik“ gebe. Ein Baby hätte mal ein ganzes Jahr im Krankenhaus verbracht, bis dann einer der Ärzte das Kind adoptierte. Angeblich wollte die Mutter ihren Jungen nicht.

Missachtung der Intimsphäre

An einem der Tage war ich bei der Morgenbesprechung des gesamten Teams dabei. Es wurde über eine Patientin gesprochen, bei der man sich nicht über den gynäkologisch-onkologischen Befund einig war. Also wurde die Frau kurzerhand ins Besprechungszimmer geholt, auf den Gynstuhl gesetzt, um dann in Gegenwart von gut 30 Menschen vaginal untersucht zu werden. Ein mehr als notdürftiger Vorhang verdeckte gerade noch so die frontale Sicht auf die Vulva. Alle im Raum sprachen über sie, aber kaum einer mit ihr.
Auf dem Bild ist nur die kleine Runde – die Morgenbesprechung der Hebammen – zu sehen:

Geburtshilfliche Morgenbesprechung im Krankenhaus von Medan

Abort oder illegaler Abbruch?

Einmal kam eine Frau in der 12. Schwangerschaftswoche mit starken Blutungen in die Notaufnahme. Sie habe einen „Unfall auf der Toilette“ gehabt und nun blutete sie. Es kam zum Abort.
Ich fand das etwas befremdlich: “Was denn für einen Unfall? Wie soll das gehen?“ Auch hier waren die Erklärungen sehr undurchsichtig. Der Mann, der sie brachte, wirkte extrem nervös und verschwand dann plötzlich. Die Vermutung lag letztlich nahe, dass es sich hier um einem Abort handelte, dem irgendwie nachgeholfen worden war – also ein Abbruch. Aber warum?

In Indonesien sind Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verboten. Einzige Ausnahmen sind: nach Vergewaltigung, oder wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist – und dann auch nur mit entsprechender Zustimmung des Ehemannes. Das bedeutet, dass unverheiratete Frauen, selbst nach einer Vergewaltigung, keinerlei legale Möglichkeit zum Abbruch haben. Bekommen sie in der Konsequenz dann aber das Baby, werden sie als ledige Mütter gesellschaftlich geächtet.
„Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen, müssen mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren oder einer Strafzahlung von rund einer Milliarde Indonesische Rupiah (65.000 Euro) rechnen.“ (Quelle: Interview mit Bunga Fatimah von der feministischen Gruppe Needle n’Bitch)

Auch den Ärzten, die solche Abtreibungen vornehmen, drohen Gefängnisstrafen. So können sich nur wohlhabende Frauen einen illegalen Abbruch bei einem Arzt „leisten“, wenn sie denn einen finden, der es macht. Vor allem armen Frauen bleiben dadurch nur extrem gefährliche Methoden. Laut des MDG (Millennium-Entwicklungsziele Report) von 2007, gehen geschätzte 11% aller Fälle von Müttersterblichkeit auf illegal und unsicher durchgeführte Abbrüche zurück.

Stillberatung

Es gibt aber auch Positives zu berichten. Ich habe ja schon erzählt, dass in Indonesien leider nur etwa 40% der Frauen im ersten halben Jahr ansatzweise voll stillen.
Eine der Ursachen ist, dass die auf der Beziehungsebene höchst einflussreiche Verwandtschaft oft nicht hinter dem Stillen steht und es entsprechend torpediert. Als aufklärende Gegenmaßnahme werden die jungen Paare gemeinsam mit der ganzen, bei der Geburt anwesenden, Verwandtschaft noch im Krankenhaus kurzerhand zu einer kleinen Stillschulung eingeladen. Dort wird sehr eindrücklich auf die vielen gesundheitlichen Vorteile hingewiesen. Solche Aktionen finde ich, gerade in einem Land, in dem Mütter und Schwiegermütter einen so großen Einfluss haben, sehr sinnvoll.

Wenn alle Familienmitglieder die Frau in ihrem Stillwunsch unterstützen, ist die Wahrscheinlichkeit einfach viel größer, dass sie auch längerfristig gut stillen wird, und Probleme dabei besser überwindet. Das ist natürlich überall auf der Welt so und wurde vor Kurzem auch in Deutschland untersucht. Dazu mehr hier im Blog in der anstehenden Weltstillwoche.

Fazit der Krankenhauswoche

Meine Woche im Krankenhaus war schon krass. Bei vielen Dingen, die ich sah, sträubte sich einfach Alles in mir. Leider war ich nur als Beobachterin da und hatte daher auch keine echte Handhabe für dauerhafte Änderungen.
Kritik ist grundsätzlich schwierig, in einem asiatischen Land, wo es stets wichtig ist, sein Gegenüber nicht zu beschämen. Ich konnte also nur – im Geiste des gegenseitigen Austauschs – vorsichtig anmerken, wie wir ähnliche Situationen in Deutschland handhaben würden und so darauf hinweisen, dass es eben auch anders, und im Wesentlichen besser, geht.

Bei Malika brachte ich mein Entsetzen über die Situation hingegen sehr deutlich zum Ausdruck. Was aber nur dazu führte, dass die Informationen, die ich daraufhin noch bekam, irgendwie zensiert wurden. Sowieso hatte ich manchmal das Gefühl, dass mir auf meine Fragen nur sehr ausweichend geantwortet wurde.

Mein Fazit ist, dass wenn man wirklich etwas verändern will, erstens den Auftrag dazu haben muss und zweitens die Sprache sprechen sollte. Aber dafür war ich ja eigentlich auch nicht gekommen. Meine Mission lautete „Kulturaustausch“ und nicht Gesundheitsreform in der Indonesischen Geburtshilfe.

Ich hatte im Vorfeld damit gerechnet auch selbst ein paar neue Impulse mitnehmen zu können und Beispielsweise zu lernen, wie man mit viel weniger Material und klassischer Medizin auskommt. Das war schon auch so, aber leider viel negativer, als ich mir das erhofft hatte.
Ich glaube, wir haben manchmal eine etwas romantische Vorstellung davon, was Einfachheit bewirkt. Tatsächlich bin ich mit einem Gefühl von großer Dankbarkeit zurückgekommen. Dankbarkeit für das, was wir hier in Deutschland – ganz selbstverständlich – alles haben: Krankenversicherung, Hygiene, Medikamente, gut ausgebildete Hebammen, Krankenschwestern und Ärzte, politische Rahmenbedingungen, die – auch wenn aus unserer Sicht immer noch viel Luft nach oben ist – Selbstbestimmung ermöglichen, einen guten Ernährungszustand sichern, gute Aufklärung leisten…, und, und, und. Wir haben es echt ziemlich gut!

To be continued

Im nächsten Teil hospitiere ich an verschiedenen hebammengeleiteten Geburtshäusern, die hier Clinic genannt werden und darf endlich auch selber aktiv werden.

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

Mehr über mich →

2 Kommentare
  1. Avatar
    Caytee sagte:

    Halle Jana, ist das öffentliche stillen denn akzeptiert? Kann ich mir schwer vorstellen, da ja muslimisch (außer Bali und wenig andere Teile Indonesiens). Hast Du das beobachten können? Lg

    Antworten

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