Natur vs. Technik in der Geburtshilfe

Den Großteil der Menschheitsgeschichte haben Frauen ihre Kinder ohne technische Hilfsmittel zur Welt gebracht. Dabei ist die Menschheit zwar nicht ausgestorben, aber unzählige Mütter und Kinder sind bei den Geburten gestorben. Die technischen Errungenschaften der Medizin haben die Geburtshilfe also auf jeden Fall sicherer gemacht. Wenn ich mich entscheiden müsste, in welchem Zeitalter ich meine Kinder gerne bekommen hätte, dann würde ich mich für genau den Zeitpunkt entscheiden, zu dem ich sie bekam: Vor 16 bzw. 10 Jahren. Denn aus meiner Sicht gab es zu diesem Zeitpunkt noch ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen dem Faktor Menschlichkeit in der Betreuung und dem immer rasanter fortschreitenden Grad der medizinischen Technisierung.

Wie viel hilft Viel – in der Geburtshilfe?

Und heute? Ich glaube, dass wir den Zenit einer guten Geburtshilfe bereits überschritten haben. Denn wir sind längst an einem Punkt angelangt, wo mehr Eingriffe in die Geburt, nicht auch zu mehr besseren Ergebnissen führen. Fakt ist: In den letzten 10 Jahren stieg die Zahl der Interventionen deutlich an, ohne dass sich das Outcome, also der Zustand von Müttern und Kindern nach der Geburt, noch messbar verbessert hätte. Wir kürzen aber gerade genau den Faktor weg, der für gute Geburten mindestens genau so wichtig ist, wie die Technik für den Notfall: Die Betreuungsqualität für die Gebärenden. Daran sind natürlich nicht primär die technischen Neuerungen schuld, sondern vor allem die Politik und das Krankenkassensystem. Aber das ist ein etwas anderes Thema.

Die Fragestellung von Natur vs. Technik in der Geburtshilfe hingegen lautet: “Welche technischen Hilfsmittel haben die Geburtshilfe signifikant verändert? Welche davon sind eher Fluch und welche ein Segen? Und zwar aus der Sicht von Mutter & Kind! Ich kann schon jetzt verraten, dass es nicht ganz so einfach schwarz & weiß werden wird…

With a little help…

Bereits bei der Zeugung von Babys kommen technische Errungenschaften zum Tragen, die z.B. unfruchtbaren Paaren zu ihrem Traumkind verhelfen können. Bei Diagnostik und Behandlung helfen dabei Ultraschall, Röntgen und kleinere operative Eingriffe.
Auch der spät möglichste Zeitpunkt ein Kind zu bekommen wurde weit über die natürlichen Möglichkeiten einer Frau hinaus nach hinten verschoben. Ist das nun Fluch oder Segen? Lässt sich das so leicht beantworten? Das kommt, wie so oft, auf den Blickwinkel an: Das Paar mit dem Kinderwunsch ist sicher überglücklich, diesen doch noch erfüllt zu bekommen. Aber wartet Frau mit dem Wissen, dass es ja heute möglich ist, bewusst lange mit dem Kinderkriegen? Erst Karriere, dann das Kind – social freezing – die Technik macht auch das möglich. Anything goes – Fluch oder Segen? Und ist die Ursache dafür die Technik, oder ist das Ganze nicht eher ein Ausdruck unserer kinder- und frauenunfreundlichen Gesellschaft? Kind und Karriere zu vereinen ist auch heute noch unglaublich schwer.
Die Technik soll dem Menschen dienen! Tut sie das? Ja und nein.

Willkommen in der technomoralischen Grauzone

Es gibt viele offene Fragen, mit denen sich unsere technophile Gesellschaft beschäftigen muss:

  • Nach einer künstlichen Befruchtung im Reagenzglas werden bis zu drei Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt. So verbessern sich die Chancen auf eine erfolgreiche Implantation eines Kindes deutlich. Sind alle drei “erfolgreich”, ergibt sich das Problem einer risikohafteren Mehrlingsschwangerschaft. Es wird daher oft eines der Kinder im Bauch der Mutter wieder abgetötet (Fetozid). Und welches? Es ist einfach das, an das man am leichtesten rankommt.
    Parallel kämpft man, im Kreißsaal nebenan, vielleicht gerade mit allen vorhandenen technischen Mitteln, um das Leben eines Frühchens, das in derselben Woche zur Welt kommt, in der das medizinisch ungewollte Kind nebenan von dannen gehen muss. Beides kann tatsächlich auf ein und dieselbe Schwangerschaftswoche fallen und stellt für mich eine der absurden Blüten des technischen Fortschritts dar, die – für uns Betreuende – manchmal sehr schwer zu verarbeiten sind. Wie das für die Frauen selber ist, mag ich mir gar nicht erst vorstellen.
  • Ein weiteres, technomoralisches Problem sind die überzähligen Embryonen, die bei der künstlichen Befruchtung entstehen, aber eben nicht implantiert werden: Da das Verwerfen der Embryonen in Deutschland verboten ist, können sie (in einem Vorstadium) für den späteren Gebrauch kryokonserviert werden. Das ist keine Science-Fiction mehr, wirft aber die Frage auf, ob sie eines Tages noch zu Kindern werden? Oder verwirft man sie später dann doch? Oder benutzt sie für die Forschung, sobald die Gesetze dafür geschaffen sind? Zur Zeit ist das verboten.
  • Bis zu drei solcher Behandlungszyklen übernimmt die gesetzliche Krankenkasse. Wenn das (heterosexuelle) Paar verheiratet ist und bestimmte Altersgrenzen noch nicht überschritten sind. Bessere Chancen auf künstlich erzeugte Kinder haben also wohlhabendere Menschen, die sich zusätzliche Zyklen leisten können. Homosexuelle Paare haben es noch schwerer. Welche absurden Odysseen das hervorrufen kann, kann man in “Unerfüllter Kinderwunsch: Der Weg eines lesbischen Paares” nachlesen.

Risikoschwanger oder “guter Hoffnung”?

Nach erfolgreicher Zeugung geht es mit dem Monitoring zur “Qualitätssicherung” weiter. Der Ultraschall, oder die Sonographie, ist ein bildgebendes Verfahren, das die Pränataldiagnostik maßgeblich vorangetrieben hat. Die Technik ermöglicht die frühe Geschlechtsbestimmung und das sichere Auffinden von Mehrlingen, genauso wie das frühe Feststellen von “Defekten” beim Kind.

Doch wie immer ist die Technik nur so gut, wie der Mensch, der sie anwendet. Darüber hinaus gibt es auch hier Grenzen, bzw. zu berücksichtigende Interpretationsspielräume: Wenn in der 11. bis 14. Schwangerschaftswoche (SSW) eine Vergrößerung der Nackentransparenz (Nackenödem) per Ultraschall gemessen wird, spricht das für die erhöhte Wahrscheinlichkeit bestimmter Fehlbildungen, nicht aber für deren sicheres Vorhandensein. Es gibt viele solcher “Softmarker”, also Befunde, deren Feststellung für bestimmte Fehlbildung sprechen – nein: sprechen könnten!
Wie geht man damit um? Solche Entdeckungen tragen dazu bei, dass die bis dahin normalen, gesunden Schwangerschaften zu Risikoschwangerschaften werden. Ist aber ein Risiko erst einmal benannt, steigt in der Folge, und fast unweigerlich, die Interventionsrate. Inzwischen nehmen fast alle Frauen viel mehr als die eigentlich normalen 10 Vorsorgetermine war. Obendrein entscheiden sich Viele für eine Fruchtwasseruntersuchung, die an sich schon risikobehaftet ist. Am Ende sehen sich die Frauen dann als wandelnde Risikoträgerinnen. Stand heute: Risikoschwangerschaften sind der Normalfall und normale Schwangerschaften die Ausnahme.
Das “guter Hoffnung sein” sah vor dem standardmäßigem Ultraschall ganz anders aus:

Schwanger sein heißt, guter Hoffnung sein und Hoffen heißt die Möglichkeit des Guten zu erwarten.

Sören Kierkegaard (1813-1855)

Probeschwangerschaft & Babyfernsehen

Zwischen der 19. und der 22. SSW findet die so genannte Feindiagnostik statt. Hier lassen sich erneut alle möglichen körperlichen Besonderheiten, als auch Entwicklungsstörungen feststellen. Einige Entdeckungen sind sehr hilfreich. So lassen sich Durchblutungsstörungen vom mütterlichen zum kindlichen Kreislauf nicht nur feststellen, sondern teilweise sogar behandeln.
Für ein Paar ist es sicher gut zu wissen, wenn das Kind beispielsweise mit einer (gut zu operierenden) Spaltbildung im Gesicht zur Welt kommen wird. So können sie sich dann für den, zuerst erschreckenden, Anblick wappnen und die entsprechende Behandlung vorbereiten.
Aber was ist mit all den “schlimmeren” Diagnosen und den daraus folgenden Konsequenzen? Was passiert, wenn eine Frau (in der Hälfte der Schwangerschaft) erfährt, dass sie ein schwer behindertes Kind in sich trägt?
Viele Frauen warten inzwischen fast fieberhaft auf diese genaue Ultraschalluntersuchung, um erst dann wirklich zu entscheiden, ob sie das Kind bekommen wollen. Bis dahin ist es eine “Schwangerschaft auf Probe”. Die Zeit bis dahin ist schwer – und das ist immerhin fast die Hälfte der gesamten Schwangerschaft! Die emotionale Bindung zum eigenen Kind wird noch gar nicht zugelassen. Aber kann man seine Gefühle wirklich so kontrollieren? Zu diesem Zeitpunkt macht sich das Kind oftmals schon deutlich bemerkbar. Viele Frauen, mit denen ich gesprochen habe, hätten sich in der Schwangerschaft mehr “Nicht-Wissen” gewünscht.
Und selbst wenn die Feindiagnostik dann unauffällig ausfällt, haben Viele – dem Kind gegenüberein – ein schlechtes Gewissen. Wissen sie doch genau, dass sie die Schwangerschaft, bei bestimmten Ergebnissen, wohl beendet hätten.
Auch wenn ich den Feindiagnostik-Ultraschall kritisch sehe, möchte ich die Technologie an sich nicht missen. Ich denke aber, man muss sich vorher bewusst machen, was bestimmte Informationen für einen selbst bedeuten und sollte in der Folge nicht nur von einer Stunde Babyfernsehen ausgehen. “Feindiagnostik – Babyfernsehen oder Fehlersuche?” beleuchtet das Dilemma vieler Frauen im Detail.

Früh, früher, Frühchen

Bei der Betreuung von Frühchen hat die Technik maßgeblich dazu beigetragen, dass diese immer früher überlebensfähig sind. Beatmungsgeräte, Hightech-Brutkästen, UV-Licht-Lampen und spezielle Vitalzeichenüberwachungsgeräte machen es möglich. Allerdings tragen viele Frühchen Behandlungsschäden davon. Aber es gibt immer auch wieder diese “Wunderkinder”, die mit einem Gewicht von zwei Päckchen Butter zur Welt kommen und sich trotzdem völlig normal entwickeln. Und an ihnen wird der medizinische Fortschrittserfolg gemessen. Und nun die Gretchen-Frage: Wie entscheiden sich Eltern, die man bei der Geburt ihres Babys, das bereits nach etwas mehr als der Hälfte (!) der Schwangerschaft zur Welt kommt, fragt, ob man alles menschenmögliche tun soll, um es zu retten?

Zwischen Technisierung und Selbstbestimmtheit

Sicher ist, dass Alles was technisch möglich ist, auch in Anspruch genommen wird. Sicher ist auch, dass technische Innovationen sowohl Chancen, als auch Risiken bergen. Hat sich die Geburtshilfe durch die Technik also maßgeblich verändert? Ja, das hat sie. Aber man ist ihr nicht zwangläufig und unausweichlich ausgeliefert.
Frau hat die Wahl, denn die freie Wahl des Geburtsortes ist gesetzlich zugesichert. So ist es auch heute noch möglich, sein Kind genau so archaisch zur Welt zu bringen, wie vor 1000 Jahren. Wenn man das will. Einige tun genau das und planen eine Alleingeburt. Und Einige wählen die deutlich sichere Variante der außerklinischen Geburtshilfe mit einer Hebamme. Sollte man dann doch Hilfe benötigen, ist die nächste Klinik, mit all ihren technischen Möglichkeiten, in der Regel nicht weit. Aber die meisten Frauen – fast 98% – gehen in eine Klinik.
Soweit die Theorie der Wahlfreiheit, denn die Vielfalt an Optionen in der Geburtshilfe steht inzwischen zur Disposition. Sie ist ernsthaft in Gefahr! Hausgeburtshebammen sind bereits rar. Sie verdienen so schlecht, dass ihr Beruf, nach Abzug der immens teuren Haftpflichtversicherung, einfach nicht mehr rentabel ist.
Kleine, familienorientierte Krankenhäuser der Grundversorgung haben ein ähnliches Wirtschaftlichkeitsproblem. Daher gibt es wohl bald nur noch große, zentrale Krankenhäuser.
Wie sich dadurch die Technisierung der Geburtshilfe weiter entwickeln wird, und was das für uns als Gesellschaft bedeutet, wird sich zeigen. Aber schon jetzt ist erkennbar: Der Einfluss auf unsere Selbstbestimmtheit wird (noch) größer werden.

Guter Rat ist…

Das Kinderkriegen wird, auch durch die fortschreitende Technisierung der Geburtshilfe, zunehmend zur ganz persönlichen (fachspezifischen!) Herausforderung: Schwangerschaft als Wissenschaft. Eltern müssen sich, fast zwangsläufig, tiefgreifend mit dem Thema beschäftigen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, einem standardisierten Geburtensystem hilflos ausgeliefert zu sein. Dabei sollte Kinderkriegen doch eigentlich toll und einfach sein. Etwas ganz natürliches. Und selbstbestimmt!

Immer mehr Eltern wird bewusst, was sich da im Hintergrund, schleichend und bald unwiderruflich, manifestiert. Viele Eltern kämpfen bereits für ihr Recht auf die freie Wahl des Geburtsorts, bei der es um weit mehr geht, als nur um die Frage, ob Hausgeburt oder Klinikgeburt. Es geht um die Qualität und den Erhalt unserer Geburtskultur!
Ich bin Hebamme und schreibe diese Zeilen natürlich nicht ganz unbefangen. Ich bin auch Mutter zweier Kinder. Und ich bin betroffen, als Frau und Teil dieser Gesellschaft.
Ich finde es absurd – und damit greife ich das gesundheitspolitische Thema aus der Einleitung wieder auf – dass, gerade in Anbetracht dieser inzwischen für Eltern komplexen Thematik, den Hebammen die Existenzgrundlage entzogen wird.
Guter Rat ist nämlich nicht teuer, denn er kommt in denkbar günstigster Form, nämlich der Hebammenbetreuung ab dem ersten Moment der Schwangerschaft, den werdenden Eltern zu Gute.

“Und wie wurdest Du geboren?” Was man im Moment noch dafür tun kann, damit diese Frage auch zukünftig einen Sinn hat, könnt Ihr in “Die Hebammenkatastrophe – letzter Aufruf zum Elternprotest” nachlesen.

Geburtskultur im Wandel

Die Technisierung wird natürlich weiter voran schreiten. Vielleicht gibt es irgendwann die total überwachte Schwangerschaft, in Anlehnung an die schon existierenden “Gesundheitsarmbänder”. Vielleicht wird eine App erfunden, die die Herztöne und die Bewegungen des Kindes zu jeder Zeit misst und bei Unregelmäßigkeiten Alarmsignale gibt. Aber an wen? Und was tut man dann mit dieser Information? Der gläserne Mensch ab Stunde Null?
Und wird die App die Frauen dann auch beruhigen, ihnen Mut zusprechen und die Situation klären können? Meldet sich dann die virtuelle Hebamme aus dem Birthcontroll-Callcenter der Krankenkasse mit Sitz in Irgendwo? Wird das die Angst vor Komplikationen weiter schüren und zu noch mehr Interventionen führen?
Oder erhalten wir sogar individuelle Versicherungsangebote im “Livemodus”, inklusive klarer Hinweise darauf, dass, wenn wir jetzt nicht der Untersuchung XYZ zustimmen, leider mit dem Ausschluss aus der Versicherung rechnen müssen?
Was macht der Mensch mit der Technik und was macht die Technik mit dem Menschen? Wir werden sehen.

Ich wünsche mir, das trotz, oder eigentlich genau wegen der Technisierung, die Möglichkeit der Nichtnutzung erhalten bleibt und auch noch unsere Töchter und Söhne selbst entscheiden dürfen, welchen Grad von Überwachung, Technik und Natur sie bei ihren Geburten einfließen lassen möchten. Denn häufig frage ich mich bereits: “Ist die normale Geburt bald vom Aussterben bedroht?” Noch hab ich ein Fünkchen Hoffnung…

Aber bei uns Hebammen ist das  “guter Hoffnung sein” ja auch Teil des Berufs.

(Dieser Beitrag ist als Gastartikel zuerst im – inzwischen eingestellten – Onlinemagazin LEBENLANG erschienen.)

Geburtskultur in der Diskussion

Aus meiner Sicht gab es vor knapp 10 Jahren noch ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen dem Faktor „Menschlichkeit in der Betreuung“ und dem immer rasanter fortschreitenden Grad der medizinischen Technisierung.

Wie seht ihr das heute?
Wie geht es euch mit diesem Thema und wie geht ihr damit um?
Was ist für euch Fluch und was ein Segen?

 

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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24 Kommentare
  1. Avatar
    Lareine sagte:

    Ich schildere meine vielfältigen Erfahrungen zur Veranschaulichung:

    Mein erstes Kind habe ich vor bald 13 Jahren in einem Geburtshaus geboren. Leider war die Betreuung da nicht sehr gut und das Geburtserlebnis selber dadurch stark in Mitleidenschaft gezogen. Doch ich bin unsicher, ob mir zu jenem Zeitpunkt eine Klinikgeburt besser getan hätte. Vermutlich hätte man interveniert, da ich drei Stunden Dauerpressen ausgesetzt war und recht viel Blut verlor. Jedoch waren die kindlichen Vitalzeichen anscheinend in Ordnung. Aber ich habe wortwörtlich gehofft, man würde mich per Kopfschuss erlösen. Ich erinnere mich, neben den Schmerzen und meiner wachsenden Verzweiflung, vorwiegend an das arrogante Kopfschütteln der Hebamme, weil ich für das Nähen von Damm- und Scheidenriss ein Betäubugnsspray mitgebracht hatte. Und an die ersten Worte nach der Geburt – sie sagte nichts wie “Herzlichen Glückwunsch!”, sondern sofort eindringlich: “Der gebt ihr aber keinen Schnuller, ne?”

    Daher entschied ich – da ich nicht in eine Klink wollte und mich einfach vor technisierter Medizin fürchtete – eine Hausgeburt zu erleben. Mit einer anderen Hebamme. Schön gemütlich zuhause. Diese verlief sehr gut und war (wenn man bei einem in jeder Hinsicht derart überwältigendem Erlebnis davon sprechen kann) schön. Ich erinnere mich gerne an die Geburt und auch an das Danach: ich lag auf dem Wohnzimmerteppich auf vielen Decken, neben mir meine mir vertraute Hebamme und zwischen uns das Neugeborene. Mein Mann hat uns Tee gekocht und wir haben in den Schnee vor dem Fenster geschaut und entspannt.

    Ganz anders natürlich in der Klinik, da bekam ich Kind Nummer 3. Die Geburt war sehr ruhig, da ich gleich klarstellte, die Hebamme möge sich ohne schlechte sGewissen um die “völlig panische Erstgebärende nebenan” im Kreißsaal kümmern. So bekam ich ein leichtes Mittelchen angehängt, der Kreißsaal war schwach beleuchtet und ich fand nur die Übergangsphase unangenehm. Danach wurde ich dann eben mit Bett ins Zimmer gefahren, mit Baby im Arm. Die Schwestern gratulierten sehr lieb und gaben mir so ein Klinik-Geschenk-Päckchen mit. Habe aber am zweiten Tag schlimmes Heimweh bekommen und wollte vorzeitig nach Hause. Und weil Baby einen Hackenfuß hatte, musste ich noch 3 Stunden im Wartezimmer auf meiner frischen Dammnaht sitzen, bis die Frau Professorin der Orthopädie mit ihren wie Fliegen um sie schwirrenden Untergebenen glamourös einen Verband ums Füßchen wickelte. Klinikalltag halt.

    Nummer 4 war wieder eine Krankenhausgeburt. Diese war richtig heftig – ich hatte den Bezug zu meinem eigenen Körpervertrauen (durch eine zwischenzeitlich aufgetretene Angsterkrankung) verloren und die Gebärmutter baute wohl laut Hebamme immens viel Kraft auf – das käme bei Vielgebärenden häufiger mal vor. Ich war sogar an einem Punkt, den ich von mir nie kannte – ich war von den Schmerzen völlig überrascht, hatte keinen halt in mir selbst, wurde nervös und wollte sofort eine PDA.
    Das ging nicht mehr, da bereits vollständig eröffnet war. Aber ich wurde von einem sehr lieben und sehr sensiblen Arzt und einer (angenehm) resoluten Hebamme dadurch gecoacht. Am nächsten Tag sagte der Arzt dann mit feuchten Augen, ich hätte ihm so leid getan, weil ich von den Schmerzen so überrollt geworden wäre und hätte mir so gerne geholfen, das hätte auch ihn sehr getroffen. Aber das ganze Team wollte mir noch sagen, dass es sehr beeindruckt war, wie ich das gemeistert hatte, auch als die Herztöne runtergegangen seien. Sie seien alle sehr beeindruckt. Dann gratulierte er nochmals.

    Mein persönliches Fazit:

    – Eine Hausgeburt (wenn medizinisch möglich) kann wunderschön sein und stellt für mich, die ich alle drei Möglichkeiten kenne, die entspannteste und intimste Geburt dar.
    – Die freie Wahl des Geburtsortes ist für mich ein weibliches Grundrecht. Jedes Tier sucht sich eine Ecke, Nische, eine Höhle oder ein Nest. Nur wir sollen in hellem Licht rücklings auf (teils sehr schmalen, harten) Betten liegen? Durchgecheckt wie ein Auto und innerlich das Kind vermessen wie ein Produkt.
    – Ich bin dankbar für die modernen medizinischen Möglichkeiten und habe ebenso viele für mich fachlich nicht sehr kompetente und auch nicht besonders sensible Hebammen wie Ärzte ähnlichen Schlags kennengelernt. Und eben auch wunderbare Personen beider Professionen. Zu letzterer gehörten zwei meiner Hebammen und der erwähnte Arzt.
    – Die hohen medizinischen Standards sehe ich als Fluch und Segen zugleich. Sie verursachen durch ihre Existenz Unsicherheiten, die sie dann selbst beseitigen sollen.
    – “Guter Hoffnung” zu sein reicht eben vielen nicht. Unsere Vollkasskogesellschaft verlangt nach hundertprozentiger Sicherheit und hat viel Angst, wenn sie merkt, dass es diese so niemals geben wird. Dann möchte man eben 98 Prozent. Oder wenigstens 90.
    – Hebammen, die uns Mütter zu Hause besuchen, mit uns einen Tee trinken, mal den Rücken massieren, Tipps geben (ja, auch gerne sehr alternative Tipps – jeder wie er will) und Verständnis haben, sind mehr als Gold wert. Von einer Klinikhebamme habe ich als Mutter exakt eine Schicht lang etwas. Danach sehe ich sie vielleicht nie wieder. Jene Frau, die meine intimsten und schönsten Momente miterlebte.

    Ich wünsche meinen drei Töchtern und ebenso auch meinem Sohn, dass sie alle die Möglichkeit haben werden, ihre Geburten später selbst mitgestalten zu dürfen. Sie sollen entscheiden können, wo und mit wem sie gebären. Alles andere verkrampft einen viel mehr und dies sorgt eventuell für zu viel Intervention.

    Meine Erfahrung zu Interventionen: So lange man mich in Ruhe gebären ließ, und mich wenig anfasste, konnte ich durchaus bis zur Übergangsphase lächelnd Wehen haben. Es ging mir gut, ich war in einer Art versunkenem , konzentriertem Zustand. Sobald aber Hebammen versuchten, den Muttermund zu dehnen und über den Kindskopf zu zerren oder mich auf andere Art rausbrachten, wurde es jedes Mal unangenehmer als nötig. Und vor allem eins: Schmerzhafter. Interventionen würden auf diese Weise vielleicht für viele Frauen unnötig, wenn man sie in ihren Instinkten stärken würde und sie sich erinnern würden, dass wir Frauen gebären können.

    Medizin ist in der Geburtshilfe eine Ergänzung. Eine Unterstützung in Notfällen. es kann ja kaum sein, dass wirklich 30 % aller Mütter oder/und Kinder bei Geburten stürben, wenn nicht so viele Sectios gemacht würden. Im finstersten Mittelalter lag die Müttersterblichkeit während Geburt/Kindbett bei bis zu 21%. Kriegszeiten, miserable Hygiene, schlechte Versorgung, Vorerkrankungen und Hungersnöte inbegriffen …

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  2. Avatar
    mom sagte:

    Ich hatte das 1. Kind vor 20 Jahren und das 2. in zwei Monaten. Bei der ersten Geburt hatte ich NULL Pränataldiagnostik, ich war sicher zu jung, um als risikoschwnager zu gelten, aber das wurde – ich weiß das von Freundinnen – zu dieser Zeit auch kaum angeboten. Da hätte man schon zu spezialisierten Großstadtkliniken gehen müssen. Dementsprechend weit weg war das THema für mich, ich wäre nicht im Traum draufgekommen, dass mein Kind krank oder behindert sein könnte. Ich ging deutlich unbelasteter an den ganzen Themenkomplex heran.
    Bei dieser Schwangerschaft – ich bin 40, so wie über 50% der Schwnageren meiner Stadt 40 oder 40+ sind – habe ich als allererstes einen fetten Packen mit Infomaterial bekommen, à la Krankenhäuser und Pränataldiagnostikkliniken stellen sich vor. Ich habe dann auch den ganzen Zirkus mitgemacht und mir wurde auch gesagt, dass das Kind ein erhöhtes Risiko für Trisomie 21 hat – einer der Blutwerte war seltsam. Ich war recht beunruhigt, recherchierte ein bisschen und fragte dann nach, ob das daran liegen könnte, dass ich Utrogest einnehmen musste. Ja, meinte der Pränataldignoastiker, das sei möglich, nein, meinte meine Frauenärztin, das sei unmöglich. Also hab ich dann den Pränatest auch noch gemacht, mit zunehmendem mulmigen Gefühl. Das ging schon in Zeiträume, die deutlih später als die 12. Woche waren, und mit einer Abtreibung bis zur 12. Woche hätte ich gut leben können, aber die Tests verschoben diesen Zeitpunkt immer mehr nach hinten…es war ein scheußliches Gefühl. Der Test war dann aber unauffällig. Man sollte sich aber klar machen, dass man meist nur irgendwelche Risikozahlen und Wahrscheinlichkeiten erfährt, aber kein klares Ergebnis. Ich fand es tatsächlich bis zu den abgeschlossenen Tests schwierig, mich voll und ganz auf das Kind einzulassen. In einer Ecke meines Herzens lauerte so ein bisschen der Vorbehalt. Trotzdem würde ich wahrscheinlich die Tests wieder machen – nicht mit 20, aber schon mit 40.
    Ansonsten fühlte ich mich sehr gut betreut, aber im Vergleich zu vor 20 Jahren auch viel stärker betütelt. Es sind wesentlich mehr Vorsorgeuntersuchungen, als ich vor 20 Jahren hatte; es mag daran liegen, dass ich privat versichert bin, keine Ahnung, aber ich könnte mir auch sehr gut ein System wie in Großbritannien vorstellen, wo man eigentlich die ganze Schwangerschaft über von Hebammen betreut wird.

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  3. Avatar
    mom sagte:

    Teil 2: Geburt
    Ich habe mir sehr bewußt ein kleineres Krankenhaus mit einer hebammengeleiteten Geburtenstation ausgesucht, die keine Neonatologie hat. Dementsprechend, denke ich, geht da nicht das ganz sicherheitsorientierte Klientel hin. Aber die meisten Krankenhäuser mit Neonatologie haben an die 2000-3000 Geburten im Jahr. Dass die keine Zeit für irgendeinen Wehenverlauf haben, der nicht 08/15 passt, scheint mir logisch, und mir wurde auch von einer Hebamme, die in so einem großen Krankenhaus tätig war, bestätigt, dass die gar nicht anders können, als Geburten zu “timen”, sprich Wehenhemmer hier, Wehenverstärker dort. Das halte ich für massiv schädlich, wenn es nur darum geht, dass Kliniktiming einigermaßen erträglich für das medizinische Personal zu gestalten, Himmel gehts noch? Meine Hebamme, die selbst am genannten Krankenhaus vor 15 (!) Jahren gearbeitet hat, hat auch beobachtet, dass sich der Personalschlüssel kaum verändert hat, obwohl sich die Geburtenzahl dort verdoppelt hat. Dementsprechend frage ich mich, ob die techische Seite das Problem ist oder die Personalseite. Zu wenig Personal => mehr Interventionen nötig => mehr technischer Schnickschnack. Vielleicht sollte man da auch anfragen, bevor man sich beim Krankenhaus anmeldet, damit die ganz klar und deutlich das Signal bekommen, dass genügend Personal ein wichtiges Entscheidungskriterium ist.
    Ansonsten stelle ich an mir fest, dass ich ein Opfer von “too much information” bin – in meine erste Geburt bin ich reingegangen wir Parzifal, der tumbe Tor. Völlig naiv. Ich hatte ein Geburtsvorbereitungsbuch, darin las ich ein bisschen, und das war’s dann. Sicher, ein paar Leute erzählten mir scheußliche Stories, aber ich war in einer Altersgruppe, wo sowieso kaum jemand Kinder hatte, d. h. das Thema war nicht sehr präsent und dementsprechend ahnungslos und relaxt war ich auch. Rückblickend wünsche ich mir diese Sorglosigkeit ein bisschen zurück – ich habe mittlerweile das Internet genützt, um mich umfassend zu informieren, merke aber mittlerweile, dass mein Kopf total voll ist und mein Stresslevel sehr hoch. Ich würde mir selber vor 4 Monaten geraten haben wollen, mich nur sehr, sehr selektiv und vorsichtig zu informieren und die Pfoten von allen Youtube-Dokus zu lassen, die es so gibt. Die allerwichtigsten Infos, die ich bekam, waren von animierten Lehrvideos, z. B. wie sich das Kind durch das Becken schiebt, wenn die Mutter liegt und wenn die Mutter steht. Aber wer braucht schon die 15. Fließbandgeburt aus einer englischen Dokuserie, in der ALLE Mütter liegen und verdammt laut kreischen? Too much information.
    Mein Problem sind also nicht die technischen Möglichkeiten, für die ich sehr dankbar bin, sondern der gießkannenartige Einsatz, der sich aus Zeitnmangel und Effizienzüberlegungen ergibt (auch ökonomische Überlegungen spielen da sicher eine Rolle, davon bin ich überzeugt). Das Problem ist ja, dass wir als Geburts”konsumenten” nicht auf das freie Spiel von Angebot und Nachfrage setzen können wie bei manchen anderen Märkten. Wir MÜSSEN ja verdammt noch mal irgendwo gebären, und wenn das nächste Krankenhaus das einzige erreichbare Krankenhaus ist, dann werden wir die Zähne zusammenbeißen und dorthingehen, selbst, wenn wir dort am Gang schlafen müssen und eine von sechs gleichzeitig Gebärenden sind. Mit den erwartbaren Interventionskaskaden als Folge. Da wäre für mich der Ankerpunkt für die Politik – statt sich zurückzulehnen und zu sagen, Krankenhäuser hätten eh eine tolle Akzeptanz, sonst gingen nicht so viele Frauen hin, mal überlegen, dass es einen Mangel an Angeboten gibt – selbst in einer Großstadt wie München gibt es m. Wissens nach ein Geburtshaus, und das war zumindest im Frühjahr von Schließung bedroht. Der Rest ist Krankenhaus. Beleghebammen gibt es scheinbar gar keine, Hausgeburten ganz wenige.

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      Jana Friedrich sagte:

      Absolut! Ich bin ja auch der Meinung, dass in unserem Gesundheitssystem etwas nicht stimmt. Wir haben das Wissen, dass Frauen mit einer 1 zu 1 Betreuung (wo auch immer) besser, interventionsfreier, schmerzfreier Gebären, und ändern daran trotzdem nichts. Das ist doch frauenfeindlich!
      Den Informationsüberfluss werden wir wohl nicht mehr stoppen, daher muss man sich gut aussuchen, wo man ließt, schaut und fragt. Das ist natürlich schwierig, denn jede Frau startet ja damit neu…

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  4. Avatar
    Kristina sagte:

    Ich bin hier gern stille Leserin. Ein toller Blog, vielen Dank dafür!

    Vorsorge kann Fluch oder Segen sein und die Feindiagnostik erst recht. Mein Mann wurde mit einer Lippenspalte geboren. Wir dachten über Familie nach. Ich erkundigte mich bei meiner Frauenärztin nach der Erblichkeit und erhielt die Auskunft, dass wir uns darüber keine Gedanken machen müssten. Aus ihrer Sicht lag somit auch keine Veranlassung zur Feindiagnostik vor.

    Der Schock war für uns und gefühlt auch für die zwei Hebammen im Kreißsaal erstmal groß. Unser Sohn hatte eine nichbekannte doppelseitige Lippen-Kieferspalte.

    Heute ein knappes Jahr und die erste OP später bin ich froh, dass ich es nicht wusste. Ich konnte meine Schwangerschaft genießen und tatsächlich guter Hoffnung sein. Das hätte ich wohl nicht gekonnt, wenn ich es gewusst hätte. Manchmal ist es besser nicht alles zu wissen.

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      Jana Friedrich sagte:

      Liebe Kristina, danke für das liebe Lob!
      Und auch für den Kommentar. Ja, ich kann verstehen, dass eine unbekannte Spaltbildung ein Schreck war.
      Und ja: Manchmal ist es trotzdem gut, nicht alles vorher zu wissen.
      Liebe Grüße und viel Glück mit den OPs!

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    Rosalie sagte:

    Ich finde es so wichtig eben dies zu betonen: Vieles ist möglich, aber deswegen muss man es noch lange nicht machen. Leider werden nur allzu gern Autoritäten da vorgespielt, wo sie eigentlich gar nicht hin gehören. Ärzte haben generell nur eine beratende Funktion, es sei denn, der Patient ist nicht bei Bewusstsein und in aktuter Lebensgefahr. Selbst wenn 5 Ärzte kämen und meinten, Frau bräuchte einen Notkaiserschnitt, so könnte die Frau das ablehnen, wenn sie wollte. Es ist absolut schändlich, dass mit der Unwissenheit der Patienten gespielt wird.

    Was mich aber ebenso ärgert ist, Frau geht in ein Krankenhaus und beschwert sich dann darüber, dass die Fachpersonen tun, was sie für richtig halten und nicht, was Frau für richtig ausdachte. Wenn man ins Krankenhaus geht und diese Sicherheit haben will, dann muss jeder damit rechnen, dass Mediziner entscheiden, ob ein Eingriff notwendig sein könnte. Frau darf eben nicht in eine Klinik gehen und dort die Verantwortung abgeben. Denn die Verantwortung für den eigenen Körper trägt man immer selbst, auch während einer Geburt. Ähnlich ist es bei der Vorsorge. Ich muss da gar nichts machen lassen, wenn ich das nicht mag oder mir die Antworten auf die Fragen nicht gefallen könnten. Das ist alleine meine Entscheidung. Ich muss auch nicht mal dem Blutabnehmen zustimmen. Ich kann einfach hinsetzen und sagen: Nein, ich möchte das nicht, aber dafür habe ich viele Fragen über die möglichen Untersuchungen und möchte Beratung. Statt einem US in SW6 kann man auch ganz gezielt einen Beratungstermin beim Arzt ausmachen. Und man darf schon sagen, dass Menschen durchaus selber Schuld sind, wenn sie weder eine Zweitmeinung einholen, einen vertrauenswürdigen Arzt suchen, statt einem Beratungsgespräch Dr. Google befragen oder einfach kopflos alles abnicken, was ein Arzt ihnen anträgt. Das alles gilt nicht nur für Schwangerschaften und Kinder, sondern für jeglichen Arztbesuch. Es gilt auch für Konsultationen von Anwälten, von Vertragswerkstätten etc. Jeder einzelne von uns ist verpflichtet sich zu informieren, und sei es wenn man bei KK oder Beratungsstellen oder beim Verbraucherschutz nachfragt. Das ist wirklich nicht zu viel verlangt.

    Und ja, die Technik, die mag für viele überfordernd sein. Aber auch das spricht sie nicht von der Verpflichtung los, erst gründlich nachzudenken, bevor man eine Entscheidung trifft. Und zudem muss man eben manchmal noch mehr Beratung einfordern, wenn man etwas nicht durchschaut. Auch beim Kinderwunsch und dessen Blüten.

    Aber seien wir auch mal ehrlich. Die meisten Frauen mögen diese viele Aufmerksamkeit, das ständige BabyTV, das betüttelt werden und interessieren sich nicht ausreichend für die Untersuchungen, die da an ihrem eigenen Körper vorgenommen werden. Die meisten lassen ihren Gyn willfährig machen, was sie dem eigenen Mann energisch verbieten würden. Und viele sind schlicht nicht in der Lage klare Entscheidungen zu treffen. Man braucht dazu schon eine gewisse Portion Selbstvertrauen und darf auch nicht unbedingt einen allzu ängstlichen Charakter haben.
    Da viele Frauen nach umfassender Diagnostik und Absicherung verlangen ist das doch wunderbar und soll ihnen gegönnt sein. Was aber nicht passieren darf: Das diese Gruppe Frauen als Gegner begreift, die es anders machen wollen, dass die Wahlfreiheit der anderen beschränkt wird, nur weil ein Teil der Schwangeren die technische Unterstützung zu recht einfordert. Genau da liegt das Problem: Wenn alle gezwungen werden das gleiche zu machen. Nicht die Technik ist das Problem, sondern dass der der am lautesten schreit als ‘Mehrheit’ und ‘Normalität’ wahrgenommen wird. Wir Menschen haben diesen blinden Fleck bei absolut jedem Thema!

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      Elli sagte:

      Liebe Rosalie, wichtig finde ich aber auch, nicht nur die Unwissenheit zu betonen und ans Reflektieren und Entscheiden zu appellieren, sondern auch zu sehen, dass gerade diese Über-Informiertheit zu einer Entscheidungsunfähigkeit führen kann.
      Sei es Dr. Google oder Gespräche mit “erfahrenen” Schwangeren, und sei es noch so kurz im Wartezimmer, die eine Flut von Informationen und “Must-Haves”, “Must-Dos” etc. ausspucken, wo, und da sind sich Menschen, die in einer so völlig neuen Situation sind, alle ähnlich, erstmal verunsichern.
      Ich bin sehr froh, dass ich meine Hebamme von Anfang an zur Seite hatte. Ihr habe ich blind vertraut und wurde nicht enttäuscht.
      Meine Mutter, die Nachbarin, die Frau auf der Straße, eine entfernte Freundin,… – das waren ja alles nette Menschen, aber in ihrer (selbsternannten) Funktion als Ratgeber eher untauglich.
      Eine gute Entscheidung kann man vor allem dann treffen, wenn man den Freiraum hat, bei sich (und dem Kind) zu sein, auf sein Gefühl zu hören. Das ist durch den Informationsüberschuss leider nicht mehr gut möglich.

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        Rosalie sagte:

        Nun, das mit der Überinformation verstehe ich nicht ganz. Wer Dr. Google und irgendwelche Forenmuttis fragt, statt den Arzt, der die individuelle Geschichte medizinisch einschätzen kann – ja also der ist schon zum Großteil selber schuld. Tut mir Leid, man muss schon mit seiner eigenen Verantwortung umgehen wollen…

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          mom sagte:

          Ich finde es nicht hilfreich, das Thema auf eine “Schuldfrage” zu reduzieren. Es ist eine Tatsache, dass ein großes Informationsangebot (manchmal Desinformationsangebot) vorliegt. Genauso, wie es einem passieren kann, dass man kurz den Fernseher einschaltet und mit Informationsbrocken gefüttert wird, die man so gar nicht nachgefragt hat, kann einem das auch im Internet oder im Gespräch mit anderen passieren. Das ist keine Frage von “Schuld”.
          ich würde sagen, die Eigenverantwortung ist dann wichtig, wenn es darum geht, die Information einzuordnen. Wenn mir die Nachbarin ihre gruselige Dammschnittgeschichte erzählt (und das passiert schneller, als man denkt, wenn man sie nicht gerade vor den Kopf stoßen will!), kann ich in Schwermut versinken oder aber mir einen Kontext an Informationen holen, der mir hilft, die Info richtig einzuordnen. Das ist mitunter ein mühsames Geschäft.
          Natürlich ist es ideal, wenn man sich dann schulterzuckend abwendet und seinem Gefühl folgt, aber gerade Frauen, die zum ersten Mal schwanger sind, hatten ja noch keine Möglichkeit, ihre eigenen Erfahrungen zu entwickeln.
          Die Verantwortung liegt, meine ich, bei den Leuten, die sich genötigt fühlen, Schwangeren Gruselgeschichten zu erzählen – ich glaube aber, die machen das oft auch nur, weil sie selbst so von ihren Erfahrungen überwältigt waren und sie nicht ordentlich verarbeiten konnten. Eigentlich sollte man als unumstößliche Regel der Höflichkeit haben: “Wir erzählen nichts, es sei denn, wir werden gefragt.”

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    Cerstin sagte:

    Liebe Jana,

    ich lese schon eine ganze Weile in Deinem Blog mit und finde ihn super! Ein großes Kompliment an Dich.
    Heute will ich Dir schreiben, fragen ob Du die Seite http://www.weitertragen.info kennst?

    Dort können sich Eltern die bei der pränatalen Diagnostik eine infauste Prognose über ihr werdenes Kind bekommen umfassend informieren… es geht darum publik zu machen, dass auch unter diesen Umständen die Schwangerschaft fortgesetzt werden kann. Einige Teile der Homepage sind noch im Aufbau… vielleicht magst Du da mal schauen und wenn es passt hier mit einpflegen?

    Ganz liebe Grüße, Cersin

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    Miriam sagte:

    Liebe Jana,

    ein sehr guter Beitrag und schön, dass Du nicht alles schwarz und weiß gemalt hast.
    Während meiner Schwangerschaft haben wir uns bewusst gegen zusätzliche Pränataldiagnostik entschieden, unser Kind sollte so zu uns kommen, wie es ist. Vor dem großen Ultraschall hatte ich fast etwas Panik, dass etwas festgestellt wird und die unbeschwerte Zeit der Schwangerschaft evtl. vorbei wäre, das wollte ich nicht. Wichtig war er für uns aber schon, da er mit entscheidend für die Klinikauswahl war. Da keine Besonderheiten feststellbar waren, konnten wir beruhigt ins kleinere Krankenhaus ohne riesige Kinderstation gehen.
    Ich habe auch vollstes Verständnis für Eltern die alles mitmachen, weil von vornherein ein Risiko besteht. Oder für Eltern, die bereits ein behindertes Kind haben und danach ein gesundes Kind möchten. All das kann ich verstehen, ich bin sehr dankbar, dass wir uns diese Gedanken nicht machen mussten.
    Unsere Geburt war im kleinen Krankenhaus. Leider musste eingeleitet werden, da nach einem Blasensprung keine Wehen begannen. Trotzdem habe ich die Geburt als ein tolles, beeindruckendes Erlebnis in Erinnerung. Es war einer der schönsten Tage in meinem Leben, trotz Intervention.
    Nach der Geburt war ich froh, dass wir nicht ins große Krankenhaus mit riesiger Kinderstation gegangen sind. So musste unsere Tochter zeitweise zwar in den Brutkasten (Probleme mit der Körpertemperatur), im großen Krankenhaus hätten die Ärzte unsere Maus aber bestimmt einkassiert und auf der Kinderstation behalten. Das wäre überhaupt nicht schön gewesen. So musste sie zweimal für zwei Stunden in den Brutkasten, wir saßen daneben und sie durfte ansonsten auf dem Zimmer mit uns Eltern kuscheln. Viel besser.
    Beim hoffentlich nächsten Kind läuft hoffentlich alles wieder so problemlos wie beim letzten und wir können direkt nach der Geburt nach Hause. Vorausgesetzt unsere tolle Nachsorgehebamme arbeitet dann noch…

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    • Avatar
      Jana Friedrich sagte:

      Liebe Miriam, schön, dass alles trotz der Interventionen so gut gelaufen ist. Und vor allem, dass du den Tag trotzdem so gut in Erinnerung behalten konntest. Das hat immer auch etwas mit der inneren Einstellung zu tun. 🙂
      Liebe Grüße
      Jana

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    Katha sagte:

    Hallo Jana!

    Ich musste gerade fassungslos diesen Artikel lesen: http://www.sueddeutsche.de/news/gesundheit/gesundheit-experte-bei-geburten-sterben-hier-zu-viele-saeuglinge-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-150831-99-04905

    Da stellt doch tatsächlich ein “Experte” einen Zusammenhang zwischen kleinen Krankenhäusern und Mütter- bzw. Säuglingssterblichkeit her. Da kann ich echt nur fassungslos den Kopf schütteln.

    Mein Geburtsbericht aus einem kleinen hebammengeleiteten Kreißsaal kann man hier ja nachlesen. Wenn man mich zwingt als gesunde Schwangere mit einem gesunden Kind im Bauch nach der vollendeten 35. SSW in ein Perinatalzentrum zu fahren um da die Schema-F-Behandlung (Vorsorglicher Kaiserschnitt – da weiß man was man hat???) zu bekommen, dann kann Deutschland sein Rentenproblem ohne mich lösen und mein Sohn bleibt Einzelkind.

    Bitte mach weiter mit Deinem Blog! Nichts braucht Deutschland gerade mehr als die Stimme der geburtserfahrenen Vernunft!

    Herzliche Grüße,
    Katha

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  9. Avatar
    Christin sagte:

    Liebe Jana,

    vielen Dank für diesen wundervollen, wichtigen Text. Ich bin mit 24 selber gerade in der 9. Woche bei meiner ersten Schwangerschaft und ich muss sagen, dass ich mich in deinem Text in vielen Punkten wiedergefunden habe. Mich teilweise eher ertappt fühle.

    “Schwanger auf Probe” passt leider perfekt und macht mich unendlich traurig. Man kann sich nicht einfach nur freuen ohne ein “es ist aber noch sehr früh” oder “wir müssen noch abwarten” hinterherzuschieben. Meine Mutter hatte dafür von Anfang an kein Verständnis. Sie hatte sich damals einfach nur “unheimlich auf mich gefreut”. Doch Dr. Google weiss es leider besser.

    Und trotzdem denke ich, dass es ein “Kopfproblem” ist, dass man in den Griff bekommen muss. Was passiert, passiert. Nicht mehr und nicht weniger.

    Mich hat dein Artikel definitiv ermutigt, nocheinmal meine Sichtweise auf die Probe zu stellen! DANKE!

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    Elisabeth Grunwald sagte:

    Eine normale Schwangerschaft braucht weder Arzt noch Hebamme zur Betreuung, ja nicht mal zur Geburt.
    Allerdings wenn mal was nicht normal ist? Es ist ganz allein Sache der Eltern, wieviel Sicherheit und wieviele Risiken sie eingehen möchten. Bin Frauenärztin, Mutter von 3 Kindern und habe einen behinderten Bruder durch eine nicht erkannte pränatale Infektion. Kenne also das Problem von allen Seiten. Da gibt es kein Patentrezept wie vorzugehen sei. Eines ist aber sicher! Wenn man als Frauenärztin etwas in der Schwangerschaft übersieht oder der Kaiserschnitt ggf. verspätet ist, hat man verständlicherweise juristische Konsequenzen zu erwarten. Hebammen haben da weniger Probleme, da eine Schwangere, die sich nur in Hebammenbetreuung begibt, bereits weiß, daß sie auf einen Teil der Sicherheit verzichtet, da Hebammen viele Möglichkeiten zur Diagnostik und Therapie gar nicht haben, weder in der Schwangerschaft noch bei einer Hausgeburt. Das sehen auch Juristen so. Wenn etwas Unvorhergesehenes z.B. bei einer Hausgeburt passiert, ist eine Hebamme möglicherweise machtlos und der Schaden von Mutter oder Kind wird nicht so verfolgt wie in einer Klinik. Also alles nicht so einfach wie es manchmal gesehen wird.

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  11. Avatar
    Tiny sagte:

    Ein guter Artikel! Danke dafür!
    Ich selbst gehöre aus mehreren Gründen zu den “Risikoschwangeren”. Das schwanger werden war dabei nicht das Problem. Auch wenn mir Ärzte das einreden wollten (38 Jahre, Eileiterschwangerschaft hinter mir, Blutgerinnungsstörungen) und ich daher einen Ersttermin in einem Kinderwunsch-Zentrum erlebte, der mich in Tränen aufgelöst meinen lieben und starken Mann anrufen lies. Er holte mich ab und sprach mir ganz viel Mut zu. Nach zwei Montane war ich “einfach so”wieder schwanger. Meine Frauenärztin meinte dazu nur “Wie? Sie sind einfach so schwanger geworden? Na das wollen wir uns erst mal ansehen!”. Diese Reaktionen von Ärzten regten in mir den Gedanken, dass Frauen mit Kinderwunsch oftmals nichts mehr zugetraut wird. Ihnen wird vorher Angst gemacht und vieles wird komplizierter dargestellt als es ist. Damit lässt sich natürlich Geld verdienen. Aber ich denke auch, dass sich – wegen der Gesetzeslage – auch viele Ärzte absichern möchten. Im Moment bin ich “noch schwanger”. Am Mittwoch wird wohl eingeleitet werden. Einmal weil die “Kleine” mit geschätzten knapp 4.600 Gram schwer ist, zum anderen auch weil ich zwei Blutgerinnungsstörungen habe. Dass ich als leichter “Bluter” spontan im Krankenhaus entbinden werde, hat mir erst mal etwas Angst gemacht. Aber gute Beratung und eine tolle Gerinnungs-Ärztin, die bei der Vorbereitung mitwirkte, werden es möglich machen. Das Tolle ist – ich freu mich auf die Geburt! Und ich freue mich, dass ich allen Zweiflern zeigen kann, dass man vieles schafft, auch wenn man nicht der Norm entspricht.

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  12. Avatar
    susanna sagte:

    Ich selbst habe keine Erfahrung mit Klinikgeburten und auch nicht mit der Zeit vor 10 jahrne oder länger. Meine 3 Kinder wurden ab 2010 geboren, zuerst im GH, dann Zuhause, das letzte als AG.
    Die Interventionen hab ich bald fürchten gelernt.

    Ich bin schon kein Freund von einer riesigen Überwachung in der Schwangerschaft. Ich war nur in der ersten Schwangerschaft beim Arzt, bei den beiden kleinen gar nicht. Ich wollte kein Bild, keine Verunsicherung, wie ich sie bei vielen Frauen miterlebt habe (Kind zu groß, zu klein, Blase nicht darstellbar, keine Beine, Versorgung überprüfen, etc.). Ich wollte guter Hoffnung sein. Ich hätte eh genommen was kommt.
    Natürlich gibt es Gründe für diese Untersuchungen und auch Befunde, bei denen es Sinn macht, davon zu wissen (z.B. gröbere Herzfehler, offener Rücken).
    Aber mein Eindruck ist, dass viel mehr schlimmes mitgebracht wird als gutes. Und oft wird auch noch genug übersehen. Oder man hat eben Befunde, die nicht stimmen.

    Geburtsberichte aus der Klinik kenn ich also nur aus zweiter Hand. Ich denke da kommt es auch viel auf das Haus an, in das man für die Geburt fährt und auch auf die Hebamme, an die man gerät.
    Zusätzlich aber auch auf die Frau.
    Ich habe shcon das Gefühl dass manche Frauen leichter gebären, als andere. Vielleicht lassen diese sich auch nicht von den Interventionen stören.
    Braunüle? Egal!
    Dauer-CTG? Warum nicht? Ich will eh nicht rumlaufen…
    Wehenmittel? Na wenn der Arzt das sagt…
    Dammschnitt? Ja mei… wenns dann schneller geht….
    Für mich alles ein Graus und die Entscheidung meine Kinder außerklinisch zu bekommen war viel auch der Tatsache geschuldet, dass ich mich vor all dem schützen wollte.

    Denn ich selbst schätze mich auch nicht so ein, dass ich besonders widerstandsfähig bei einer Geburt bin und bereit zu diskutieren und mich durchzusetzen.

    Ich finde es wird zu viel gemacht heute.
    Aber ich habe keienn Vergleich wie es vor anderthalb Jahrzehnten war und ob das tatsächlich einen große Unterschied gemacht hat.

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  13. Avatar
    helga sagte:

    Danke für lehrreiche Tipps zum Nachdenken! Mir scheint, die Frau und das Kind stehen miteinander während der ganzen Schwangerschaft in Einklang. Jeder hört den andern zu. Ungehorsam kann auch jeder von beiden sein Hilfe steht immer bereit in dieser Zeit! Die synchrone Arbeit der Körper vom Kind und von der Frau fällt immer zusammen, die beiden können einander helfen – so sagt die Oma meiner Tochter. Selbstbestimmung spielt hier die Schlüsselrolle! Danke für den Erfahrungsaustausch!

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