Buchtipp: „Nur die Liebe fehlt“ – über die Wochenbettdepression

In jeden guten Geburtsvorbereitungskurs gehört auch ein aufklärendes Gespräch über das Thema Wochenbettdepressionen, auch bekannt als Postpartale Depression.
Wenn die Paare bei mir im Kurs sitzen, sich über die kugeligen Bäuche streichen und sich gemeinsam über Tritte und Bewegungen ihrer Babys freuen, scheint dieses Thema seltsam fern und abwegig.
Und trotzdem könnte es jede dieser Frauen treffen. Denn eine Wochenbettdepression macht nicht halt vor Frauen mit Wunschkindern, nicht vor sozial gut gestellten Familien und nicht vor bestimmten Altersgruppen.
Eine Wochenbettdepression kann jede Frau treffen.
Daher ist es ratsam, sich in Zeiten, in denen es einem gut geht, wenigstens mal kurz mit dem Thema zu beschäftigen. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit weit größer, eine Wochenbettdepression auch als solche zu erkennen, sollte sie denn entstehen. Und das ist bei immerhin bei 10 – 20% der Frauen der Fall. Richtig dramatisch entwickeln sich die Wochenbettdepressionen bei ungefähr 2%.
Das Buch “Nur die Liebe fehlt – Von Depressionen nach der Geburt und Müttern, die ihr Glück erst finden mussten, das ich euch heute dazu vorstelle, bietet dafür einen spannenden Einstieg, denn es beinhaltet überwiegend kommentierte Fallbeispiele. Das ist ziemlich spannend.

Wochenbettdepression erkennen

„Ja, aber wie erkenne ich denn, ob meine Frau depressiv wird?“, fragt ein junger Vater. Das finde ich tatsächlich gar nicht so einfach zu erklären. Zumal manche Frauen ihre düsteren Gedanken sehr gut für sich behalten oder sogar – aufgrund falscher Schuldgefühle – bewusst verstecken. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Wochenbettdepression sehr unterschiedlich äußert:
Die eine Frau leidet vielleiht an unglaublicher Erschöpfung und hat das Gefühl ständiger Überforderung. Die nächste verspürt keinerlei Liebe zum Kind. Für sie ist es ein Fremdling, vielleicht sogar ein störender Eindringling. Und eine Dritte hat womöglich Zwangsgedanken, das Kind könnte (durch sie) zu Schaden kommen. Wochenbettdepressionen sind vielfältig.
Und deshalb antworte ich dann immer: Achtet vor allem auf Wesensveränderungen, anhaltende Traurigkeit, Antriebslosigkeit oder auf extrem übertriebenen Aktionismus.
In meinem Interview mit der Psychiaterin und Psychoterapeutin Beate Sawitzki wird die Wochenbettdepression noch einmal ganz ausführlich erklärt.

Bekanntes erkennt sich besser

Wer sich gerne ein eindrückliches Bild davon verschaffen möchte, wie sich Frauen mit Wochenbettdepression fühlen, damit umgehen und ihren Weg heraus finden, dem empfehle ich das Buch: Nur die Liebe fehlt – Von Depressionen nach der Geburt und Müttern, die ihr Glück erst finden mussten.* Im Buch der Journalistin Petra Wiegers werden insgesamt vier Frauen portraitiert, die auf ganz unterschiedliche Weise eine Wochenbettdepression entwickelt haben:

Die Vorzeige-Hausfrau

Da ist Mavi, die perfekte Vorstadt-Mutti. Sie bekommt eine Wochenbettdepression, nachdem sie ihr drittes – diesmal ein ungeplantes – Kind bekommen hat. Mavi ist überfordert und versucht trotzdem weiterhin alles vorzeigemäßig hinzukriegen: Die Kinder, den Haushalt, die Ehe, die vielen Verpflichtungen… Bis sie irgendwann so tief in die Depression rutscht, dass sie gar nichts mehr schafft und nur noch im Bett liegen bleibt. Alles bricht zusammen. Der Weg dorthin wird gut beschrieben. Man kann sich hineinfühlen. Die Autorin protokolliert die Gespräche mit Mavi. Daneben beschreibt sie Alltagssituationen, an denen Mavi nach und nach gescheitert ist. Auch von ihrer anschließende Behandlung und Genesung wird berichtet.

Die hippe Karriere-Mama

Bei Isabel ist das eine gänzlich andere Geschichte: Sie bereut die Mutterschaft. Isabel war eine Karrierefrau, die sich jeden Luxus gönnte und sich gerne bewundern ließ. Kleine Affären auf Dienstreisen inklusive. Durch das Baby fühlt sie sich gefesselt und gebremst. Sie vermisst ihre Selbstbestimmtheit. Ihr Leben, das sie sich mit Baby ausgemalt hat, stimmt nicht mit der Realität überein. Auch sie erleidet eine schwere Depression, findet wieder heraus und entwickelt Lösungen für ihr Leben.

Die einsame Mutter

Sarahs Weg in die Depression ist die Geschichte von vielen geplatzten Seifenblasen. Sarah findet in einem viel älteren Mann ihren vermeintlichen Traumprinzen. Doch nach der schönen Hochzeit folgt die Ernüchterung, denn die Beziehung erkaltet schnell. Schon in der Schwangerschaft nimmt Sarahs Mann keine Rücksicht auf ihren Zustand und bevormundet sie. Das Kind wird zu früh und daher per Kaiserschnitt geboren. Sarah fühlt sich schuldig. Sie entwickelt keine Bindung zum Kind. Sie verliert alle Leichtigkeit und Freude und funktioniert bald nicht mehr. Der Mann unterstützt sie nicht, sondern verachtet ihre Schwäche. Es folgt ein Selbstmordversuch.

Die perfekte, erfolgreiche Frau

Charlotte, in deren Leben bisher alles so gelaufen ist wie geplant, wird durch die Nachricht Zwillinge zu bekommen, völlig aus der Bahn geworfen. Sie entwickelt Zwangsgedanken und stellt sich immer wieder vor, eins der Kinder könnte sterben oder noch schlimmer: sie würde es töten…

All diese Frauen entwickeln auf ganz unterschiedliche Weise eine Wochenbettdepression. Auch die jeweiligen Lösungen unterscheiden sich. Die Krankheitsverläufe werden so bildhaft und nahbar beschrieben, dass man sich in die Denkweise der Frauen einfühlen und sie nachvollziehen kann. Die Psychiaterin Susanne Simen kommentiert die Geschichten aus ihrer professionellen Sicht, was ich persönlich sehr interessant und lehrreich fand.

Fazit

Mir hat das Buch geholfen, die Wochenbettdepression besser zu verstehen und dadurch noch zielsicherer erkennen zu können. Das gilt sowohl für meinen Hebammenberuf, als auch ganz allgemein für mich als Frau, als Freundin und als Mitglied unserer Gesellschaft. Ich finde die Depression wird immer noch sehr häufig tabuisiert oder nicht als echte Krankheit wahrgenommen. Aber diese Frauen sind eben nicht nur grad „schlecht drauf”, sie haben auch keinen einfachen Babyblues, sondern sie sind niedergeschlagen, verzweifelt und antriebslos. Sie können nicht mehr lieben – weder sich selbst, noch andere. Sie sind krank und finden den Weg in ihr „normales“ Leben eben nicht mehr von alleine wieder. Sie brauchen also Hilfe. Und da kann es nur gut sein, wenn es jemanden gibt, der den Zustand erkennt und alles Weitere in die Wege leitet.

Das Buch liest sich übrigens wie ein Krimi. Ich hatte nach der Lektüre das Gefühl, wirklich Glück gehabt zu haben, nicht erkrankt zu sein.

Erschienen ist das Buch „Nur die Liebe fehlt – Von Depressionen nach der Geburt und Müttern, die ihr Glück erst finden mussten.“ im Patmos Verlag und kostet 16,99 €.

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Diskussion & Austausch

Wie sieht’s aus? Gibt es Leserinnen, die dazu etwas fragen, sagen oder diskutieren wollen?
Was geht euch dazu durch den Kopf?
Wie seid ihr eine Wochenbettdepression wieder losgeworden? Was hat euch geholfen?

Und zuletzt: Gibt es eine unter euch, die mir – auch gerne anonym – ihre Geschichte der Wochenbettdepression erzählen möchte?

 

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Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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12 Kommentare
  1. Avatar
    Andrea sagte:

    Vielen Dank für diesen Beitrag. Ich finde es ebenfalls sooooo wichtig, dass das Thema im Vorbereitungskurs abgesprochen wird. Bei mir wurde noch nicht mal das Wort WBD benutzt. Nur der Babyblues wurde anhand einer Zwiebel metaphorisch besprochen. Als ich heulend auf der Couch saß, Baby im Arm, alles war mir zu viel, alles fremd, die Last der Verantwortung (…), sagte die Hebamme nur: “Ein bisschen Weinen ist ok. Aber dann ist auch wieder gut.” NEIN IST ES NICHT. Ich hatte Glück im Unglück, dass ich mich selbst genau reflektierte und beobachtete. Ich hatte bereits eine leichte Depression, Jahre vor der Geburt meiner Kleinen, und Hilfe in Anspruch genommen. Deswegen habe ich schnell erkannt, dass was nicht stimmt und mir zum Glück rechtzeitig Hilfe geholt. Auch wenn die Scham so groß war. Scham darüber, versagt zu haben, weil ich mein Kind nicht so lieben konnte, wie ich mir das vorgestellt habe. Die Aufklärung zu diesem Thema ist sooooo wichtig. Eben weil es auch der sonst total lebensfrohen Person passieren kann. Ich höre oft das Argument, dass man das Kind doch 9 Monate im Bauch hat und weiß, was da kommt. Aber genau DAS weiß man nicht. Es spielen so viele Faktoren da rein. Die Geburt, die Betreuung und natürlich die Persönlichkeiten. Wie ist das Kind, wie bin ich? Welche Ängste habe ich? Ich versuche, durch das Lesen solcher tollen Beiträge und auch durch das Sensibilisieren anderes Mütter im Bekanntenkreis (im Sinne von: Ruf mich an, wenn du magst und besonders an schwarzen Tagen. Die kann es geben und das ist nicht schlimm.) mit dem Thema meinen Frieden zu machen. Meine Kleine und ich…wir hatten einen schweren Start. Aber der “Kampf” hat sich gelohnt! Danke für den Beitrag!

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  2. Avatar
    Sonia sagte:

    Hallo Jana,
    die Wochenbettdepression ist sicherlich, wie auch die Schwankung der Libido während der Schwangerschaft, ein WICHTIGES THEMA, mit dem sich JEDES PAAR beschäftigen sollte, sonst besteht das Risiko, dass es wegen Scham und Schuldgefühle schnell zum Tabu wird. Im Gegenteil, wenn man darüber schon im Vorhinein gesprochen und sich informiert hat, ist es NACHHER VIEL EINFACHER. Danke für den Buchtipp! Sehr interessant finde ich die verschiedenen Frauen Portraits und zu verstehen, dass es so unterschiedliche Wege und Lösungen zur Wochenbettdepression gibt.

    Sonia

    Antworten
  3. Avatar
    Anne sagte:

    Hallo Jana,
    Vielen Dank für deine tollen Texte. Ich bin immer fleißig am lesen
    Mein Sohn ist 15 Monate alt und wir hatten einen sehr schweren gemeinsamen Start. Nach Geburtseinleitung und Geb.stillstand kam mein größtes Glück, per Notsectio auf die Welt. Die Wochen u Monate danach waren schlimm für mich. Meine Hebamme erkannte nicht wie schlecht es mir ging u auch die Familie half nicht. Ich litt unter extremen Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, Erschöpfung, Traurigkeit….

    Erst nach 4Monaten suchte ich mir Psychologische Hilfe.

    Ein wirklich wichtiges Thema das leider allzu oft kleingeredet wird.

    Liebe Grüße

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    • Avatar
      Jana Friedrich sagte:

      Oh jeh, das war wirklich ein schwieriger Start. Ich hoffe dir geht es inzwischen besser? Ich finde es klasse, dass du darüber redest/schreibst. Ich glaube, mehr darüber zu wissen, sensibilisiert dann auch wieder mehr Menschen.
      Alles Liebe!
      Jana

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  4. Avatar
    Mona sagte:

    Schön wenn man erkannt hat, dass man unter einer Wochenbettdepression leidet.
    Vorher von jedem nicht ernstgenommen wird und Hilfe auch nirgendwo zu finden ist.
    Das Thema ist super wichtig…. aber wo man Hilfe findet noch wichtiger.
    Denn ich findegerade keine.

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  5. Avatar
    Katha sagte:

    Hallo Jana,

    das Buch klingt interessant, leider ist der Titel – wie so oft – irreführend. Wie im Text und anhand der vier Frauen beschrieben, ist es eben nicht WBD = Mutter liebt ihr Kind nicht. Das ist eine gefährlich verkürzende Gleichung, die sehr viele Varianten ausklammert. Ich habe nach der Geburt schnell gemerkt, dass etwas nicht stimmt, habe aber die WBD immer als Diagnose ausgeschlossen, weil meine Gefühle fürs Kind vollkommen normal waren. Ich habe meinen Sohn vom ersten Augenblick an geliebt und hatte keinerlei negative Gefühle ihm gegenüber, doch leider umso mehr für mich selbst. Am Ende wurde die Depression erst nach über einem Jahr diagnostiziert, da hatte unsere Familie schon unendlich viel gelitten. Wirklich losgeworden bin ich es erst nach 1,5 Jahren. Ich wünschte wirklich, es würde nicht immer alles auf die Beziehung zwischen Mutter und Baby reduziert, sondern mehr auf die Mutter als Person geschaut. Wie geht sie mit der Veränderung um? Wie hat sie die Geburt verarbeitet? Welche körperlichen Beschwerden gibt es? Meine Nachsorgehebamme hatte nur ein lapidares “es gibt eben auch seelische Wunden, die heilen müssen” für mich und hielt gleichzeitig meine andauernden Schmerzen für psychosomatisch. Wie sich dann herausstellte, hatte ich Vulva-Varizen, die weder Gyn noch Hebamme erkannt hatten und die Depression kam noch oben drauf.

    Liebe Grüße,
    Katha (jetzt mit Baby Nr. 2 endlich im Mama-Sein angekommen)

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  6. Avatar
    Carla sagte:

    Wichtig vielleicht noch zu erwähnen, dass auch die Väter eine Wochenbettdepression haben können und das der Begriff Wochenbett auch etwas irreführend ist, da es sich hier nicht nur um die ersten 6 Wochen, sondern um das komplette 1. Jahr handeln kann.

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