Mein Hebammen-Indonesien-Abenteuer: „Baby Auguste“ (9)

Dies ist der neunte Teil der Artikelserie über mein ganz persönliches Hebammen-Indonesien-Abenteuer im Sommer 2019. Nachdem ich euch im vorangegangenen Teil von Vorsorgen, Geburten und der Kindersprechstunde berichtet habe, erzähle ich euch heute von einer Geburt, die ich in Eigenregie begleiten durfte.

Eingekleidet

Im Geburtshaus konnte ich, bis auf die Vorsorgeuntersuchungen und die Vitaminvergabe die ich durchgeführte, zunächst – wie im Krankenhaus – nur zuschauen. Aber eines Tages – wir kamen gerade erst im Geburtshaus an – wurde ein Baby geboren und eine weitere Geburt stand kurz bevor. Kurzerhand wurden mir Gummistiefel, Häubchen, Handschuhe und Schürze (die übliche Arbeitskleidung) in die Hand gedrückt: ich sollte die Geburt übernehmen.

Hebamme Jana Friedrich in Gummistiefeln im Geburtshaus in Indonesien

Das mit den Gummistiefeln fand ich ja schon ungewohnt. Aber normalerweise arbeitet man hier eben barfuß.

Barfuss im Geburtshaus in Indonesien

Ich ging also gemeinsam mit der Geburtshaushebamme, meiner Übersetzerin und einer weiteren Hebammenstudentin zur gebärenden Frau, der man schon gesagt hatte, dass „die deutsche Hebamme“ sie nun betreuen würde. Alle fanden das besonders toll. Meine Kolleginnen interessierte natürlich vor allem, ob ich irgendwas anders machen würde und so filmten sie mich die ganze Zeit.

Ich wusste ja, dass hier normalerweise Powerpressen praktiziert wird. Das heißt, die Frauen werden sehr früh und sehr energisch zum Pressen aufgefordert, anstatt zu warten bis der Pressdrang von selbst entsteht. Es gibt hier zwar eine Art Dammschutz, aber kein aktives „Kopf-Bremsen“, auch nicht durch Atmung. Also das, was bei uns immer unter „Hecheln“ läuft, eigentlich aber ein schubweises Ausatmen ist. Und: alle Frauen bekommen grundsätzlich einen Dammschnitt.

Baby Augustes Geburt

Die Frau lag also wie üblich in Rückenlage und presste bereits. Die Fruchtblase wölbte sich aus der Vulva. Kurz darauf platzte sie und gab einen kleinen Schwall klaren Fruchtwassers frei.

Wenig später wurde das Köpfchen sichtbar. Ich demonstrierte das beckenbodenbremsende „sch-sch-sch“, was alle im Raum gleich mitmachten. Auch die Frau tat es mir gleich. Ich hielt den Damm mit einem Zipfel ihres Sarongs (einen Dammschutz-Waschlappen gab es nicht) und bremste mit der anderen Hand das kindliche Köpfchen.
Für uns ist das normal, aber hier fanden es alle so merkwürdig, daß ich später dazu noch mal ganz genau befragt wurde. Meine Kollegin hatte für mich bereits eine Schere für den Dammschnitt in der Hand, aber ich hatte ihr schon erklärt, dass wir eigentlich nie schneiden, und so hielt ich es natürlich auch.
Dann wurde der Kopf geboren. Bei der nächsten Wehe folgten die Schultern und dann flutschte ein wunderschönes, lebensfrisches Mädchen namens Auguste heraus. Ich rubbelte sie nur kurz ab und legte sie der Mutter auf den Bauch. Auch das ist hier nicht üblich, aber ich hatte vorher fragen lassen, ob sie es wolle. Da sie ihr T-Shirt hochschob, nahm ich das als: „Ja, ich will“.
Normalerweise wird hier zügig abgenabelt und umgehend mit der Erstversorgung begonnen.

Aber ich bat nur um ein Handtuch, um Auguste warm zu halten (bei gut 30 Grad nicht so schwer) und lies sie in Ruhe bei ihrer Mama ankommen. Erst als die Nabelschnur auspulsiert war, nabelte ich ab. Alle waren schon ganz ungeduldig.
Dann bot ich dem Papa (aus Reflex) an, die Nabelschnur durchzuschneiden, was alle sehr amüsierte. Der Vater lehnte entsetzt ab.

Die Plazenta kam unproblematisch und war vollständig. Glücklicherweise blieb der Damm intakt. Ob das klappt ist ja immer eine Mischung aus Veranlagung, Glück und Geburtsleitung. Ich war sehr froh, denn dadurch war die Motivation der Anwesenden sehr groß, es bei der nächsten Geburt auch mal so (ohne Schnitt und dafür mit „Hecheln“ und Halten) auszuprobieren.

Bonding und U1

Normalerweise lasse ich die Babys für mindestens eine Stunde auf der Brust und das erste Stillen stattgefunden hat. Aber die Mutter wollte sich ohne ihr Baby ausruhen und auch die Hebammen warteten schon ungeduldig auf die U1. Immer wieder fragten sie mich, ob sie denn jetzt endlich mal weiter machen könnten… Na gut.

Während Auguste nun endlich begutachtet werden konnte, machten wir die Mama frisch und verschnürten ihren Bauch.

Bauchwickeltechnik in indonesischem Geburtshaus

Über die Tradition des Bauchschnürens sprachen wir bereits in der Uni und waren uns dort einig, dass es eigentlich keine gute Maßnahme ist, weil der erhöhte Druck auf den Bauch eben auch auf den Beckenboden geht, der ja eigentlich erst mal geschont werden soll, um sich bestmöglich zu regenerieren. Aber die Geburtshaus-Hebammen erklärten mir, dass die Frauen es gerne so wollen und sie es daher, um ihre Kundschaft nicht zu verlieren, dann eben auch so machen. Immerhin wurde der Bauchgurt nicht so festgeschnürt.
Indonesischer Mutterpass: Erstversorgung & Stillen
Im Mutterpass wird erklärt, was nach der Geburt mit dem Baby passiert und warum das Stillen so wertvoll ist.

Positive Müllbilanz

Sehr positiv fiel mir auf, wie wenig Müll diese Geburt produzierte. Die Frau lag lediglich auf ihrem eigenen Sarong, der später in eine Schüssel unter ihrem Bett gelegt wurde, und den die Verwandten dann zum Waschen mitnahmen. Ansonsten verbrauchten wir nur ein Paar Handschuhe, eine Haube, einen Mundschutz, eine Nabelklemme, einen Tupfer für die Damminspektion und einen weiteren für die Plazenta. Der Materialverbrauch im Krankenhaus von Medan war übrigens vergleichbar niedrig.

Und das ist schon ein deutlicher Unterschied im Vergleich zu den ein bis zwei randvollen Mülltüten, die wir hier in Deutschland nach jeder Geburt aus den Kreißsälen tragen.

Stillen & Namensgebung

Nach der U1 vom Baby, den hier üblichen Sofort-Impfungen und dem Silbernitrat, sowie dem obligatorischen Pucken war auch die Mama stillbereit. Ich legte ihr Auguste in den Arm, die sie auch gleich sehr gekonnt andockte.
Sie nannte die Kleine übrigens erst mal Auguste, weil sie im August geboren war. Ihren endgültigen Namen wird Auguste erst bei der Namensgebungszeremonie und im Kreis der ganzen Familie bekommen.

Stillhilfe-Arbeit im Geburtshaus in Indonesien

Die Plazenta nehmen die Familien hier immer mit nach Hause. Dort wird sie vor der Haustür in speziellen Tongefäßen, oder in Kokosnussschalen vergraben. Übrigens waren “Nachgeburtsbestattungen” früher auch in Deutschland in einigen Regionen durchaus üblich. Putzen nach der Geburt in indonesischem Geburtshaus Nach der Geburt wird einmal durchgewischt, damit alle wieder aus den Gummistiefeln schlüpfen können. Barfuß zu arbeiten ist bei 30 Grad deutlich angenehmer.

Kreissaal nach der Geburt in indonesischem Geburtshaus Nachdem beide Frauen geboren haben und versorgt sind, wird der Vorhang geöffnet und die BesucherInnen leisten ihnen Gesellschaft, bringen Essen und kümmern sich um ältere Geschwister, bis die Frauen nach Hause entlassen werden.

Auswertung

Das Geburtsvideo wurde im Nachgang noch oft angeschaut und ich musste zur besseren Auswertung jeden Handgriff erklären. Ich sei so sanft mit Mutter und Baby umgegangen. Und dass ich dem Papa das Abnabeln angeboten hatte, wurde wie ein guter Witz in der Clinic und später auch in der Uni weitererzählt.

To be continued

Im zehnten und letzten Teil meiner kleinen Indonesienserie wird es nochmal zurück in die Uni gehen, wo ich das Austauschprojekt gemeinsam mit den Dozentinnen und Clinic-Hebammen evaluiere.

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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6 Kommentare
  1. Avatar
    Carola sagte:

    Liebe Jana,

    ich lese seit einer Weile deinen Blog, es macht Spaß und ist für mich in der ersten Schwangerschaft auch sehr interessant.
    Die Beiträge aus Indonesien habe ich quasi druckfrisch verschlungen und muss sagen.. Hut ab! Auch ohne Berührungspunkte in Fachbereichen der Medizin oder Pflege, auch unter Berücksichtigung das in anderen Ländern andere Sitten und Möglichkeiten vorherrschen, bin ich mittelschwer entsetzt und zeitgleich beruhigt wie gut es uns hier geht.

    Vielen Dank für diese Einblicke, wenn einem das nicht die eigenen Ängste vor einer “deutschen” Geburt nimmt, dann weiß ich es auch nicht.

    Viele Grüße
    Carola

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    • Avatar
      Jana Friedrich sagte:

      Liebe Carola,
      danke für das tolle Feedback!
      Und das einem dadurch die Angst vor einer Geburt hier genommen werden könnte – so habe ich das bisher noch gar nicht gesehen.
      Vielen Dank für diese Perspektive!
      Liebe Grüße und alles Gute!
      Jana

      Antworten
  2. Avatar
    Annemarie sagte:

    Ich habe gerade deinen Artikel in Google gefunden und wollte dir sagen, dass es mir sehr gut gefallen hat 🙂 weiter so mit der guten Arbeit!

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  3. Avatar
    Claudia Stellmacher sagte:

    Liebe Jana,

    Endlich stöbere ich mal wieder auf deinem Blog und habe mich gerade sehr gerne über deine besondere Reise informiert.

    Ich bin immer noch sehr dankbar, dass ich vor der Geburt meines zweiten Kindes dein wunderbares Buch gelesen habe, dass mir viel Kraft, Zuversicht und Vertrauen gegeben hat.

    Viele liebe Grüße Claudia

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