Ist Stillen unfeministisch?

Vom 1. bis zum 7. Oktober 2018 war Weltstillwoche. In dieser Woche machen Organisationen und Einzelpersonen weltweit auf das Stillen aufmerksam. Hintergrund der „Werbekampagne“ ist, dass nach UN-Angaben ca. 78 Millionen Babys weltweit lebensbedrohlichen Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind, die durch das Stillen vermieden werden könnten. Die World Health Organisation (WHO) schrieb 2017 in ihrem Positionspapier 10 Facts on breastfeeding: “Breastfeeding is one of the most effective ways to ensure child health and survival.”

Stillen ist das Ideal

Auch wenn natürlich bekannt ist, dass Muttermilch erst einmal das beste Nahrungsmittel für alle Babys ist, gilt dieses Stillgebot ganz besonders für die Länder, in denen es deutlich weniger Alternativen gibt als hierzulande. Denn hier gehen wir normalerweise weder unterernährt in die Schwangerschaft und Geburt, noch haben wir Probleme damit, Babys mit guter Ersatznahrung zu füttern. Flaschenkinder müssen bei uns nicht um ihr Leben bangen.

Aber Stillen ist ein Ideal. Und zwar sowohl aus gesundheitlicher Sicht, als auch aus einer kulturgeschichtlicher. Viele Mütter freuen sich besonders auf die Stillzeit oder idealisieren diese. Wenn ich im Geburtsvorbereitungskurs frage: „Worauf freut ihr euch nach der Geburt am meisten?“ dann berichten Frauen oft von diesem Bild, das sie von sich mit dem Baby an der Brust haben.

Als Hebamme freut mich das. Denn aus dem Wissen heraus, dass Stillen nun mal das Beste für Mutter (ja, auch die profitieren davon, z.B. durch ein gesenktes Brustkrebsrisiko) und Kind ist, ist es mir ein Anliegen, möglichst viele Menschen für das Stillen zu begeistern. Natürlich ist es mir auch wichtig, dabei niemanden zu diskriminieren! Denn klar: nicht jede Mutter kann oder möchte stillen. Das ist eine individuelle Entscheidung. Und auch für diese Eltern gibt es gute Möglichkeiten, ihr Kind zu ernähren. Glücklicherweise gibt es genug Alternativen.

Was ist Stillen?

Anfang Oktober war also Weltstillwoche und die sozialen Medien waren voll von Stillbildern, Geschichten und dem Slogan: „Stillen ist Liebe“.

In der Woche darauf erschien dann in der „Zett“ ein Artikel von Mareice Kaiser mit dem Titel: „Stillen ist Liebe? Stillen ist Stillen!“. Ich schätze die Journalistin und Bloggerin Mareice für ihre klugen, feministischen Texte sehr. Doch hier war ich irritiert. Sie beschreibt in dem Text, wie sie sich erst über die Bilder zur Stillwoche auf Instagram freute, wie es für sie dann aber auch ein „patriarchal geprägtes und konservatives Rollenbild der Mutter“ zeigte. Mhm, hier habe ich schon etwas gezuckt.

Kurz skizzierte sie ihre eigenen Stillgeschichten. Dann platzte für mich die erste echte Textbombe mit dem Satz: „Eine gute Mutter stillt“, hieß es zu Zeiten des Nationalsozialismus – diese Parole gilt auch heute.”
Also „Mutter-sein“ wurde im Nationalsozialismus schon als primäre Aufgabe der Frauen verstanden, aber gestillt wurde lange vorher. Gestillt wurde, seit es Menschen gibt und sehr wahrscheinlich auch schon vorher, von anderen Säugetieren. Stillen ist ganz bestimmt keine Erfindung der NS-Zeit.
Und was ist eigentlich „eine gute Mutter“? Ich denke eine gute Mutter macht sehr viel mehr aus als nur die Art, wie eine Frau ihr Kind ernährt. Und anders herum ist man durchs Stillen nicht automatisch immer gut im Mutter-Job. Und wer hat eigentlich die Berechtigung darüber zu urteilen wer oder was eine gute Mutter ist?

Stillen verhindert Gleichberechtigung?

Des weiteren befand Mareice: „Stillen manifestiert nicht-gleichberechtigte Partner*innenschaften.“
Hä? Also Stillen ist doch erst einmal nur eine Ernährungsform. Eine Aufgabe, die hinzukommt, wenn ein Kind da ist. Aufgaben müssen neu verteilt, manchmal ausgehandelt werden.
Stillen ist eine der neuen Aufgaben. Wickeln, Waschen, an- und ausziehen, Trösten, Spielen, … Es gibt genug Dinge, die außer dem Stillen noch anfallen und die irgendwie verteilt werden müssen. Ich finde, das hat mehr etwas mit Paarkommunikation zu tun, mit Beziehungsgestaltung. Wenn ich eine Aufgabe übernehme, die nur ich ausfüllen kann, dann muss mein Partner mir eben eine andere Aufgabe abnehmen.

Ich finde da keinen Unterschied zu anderen Aufgaben. Was ist, wenn ein Partner entscheidet eine berufliche Herausforderung anzunehmen, z.B. eine Doktorarbeit zu schreiben? Ist das nicht genau so? Nur diese Person kann das tun. Also müssen andere Aufgaben, z.B. im Haushalt oder in der Familie, neu organisiert werden.
Vielleicht ist auch nicht immer alles total gleich verteilt. Dann kommt es auf die Zufriedenheit oder einen Ausgleich an. Nächtliches Stillen ist vielleicht nicht durch gemütliches Kochen am Tage auszugleichen. Aber vielleicht durch Kochen und gleichzeitiges Ermöglichen eines Mittagsschlafes oder längeres Ausschlafen am Morgen.

Jedes Paar oder jede Familie muss da einen Weg finden, der passt. Wir z.B. haben uns eher zeitweise abgewechselt. Mal ist einer beruflich mehr dran und der andere stemmt mehr Aufgaben im Haushalt und in der Familie, mal anders herum. Das Stillen selbst manifestiert aber keine nicht-gleichberechtigte Partner*innenschaften.

Das Private ist politisch (wie immer)

Problematisch finde ich ganz andere Mechanismen. Nämlich, dass Frauen immer noch viel weniger Geld verdienen als Männer. Dadurch bedingt sich in den allermeisten Fällen, dass Frauen nach der Geburt eines Kindes am längsten die Care-Arbeit übernehmen und ihre berufliche Laufbahn solange auf Eis legen. Abgesehen vom Karriereknick, der daraus oft genug hervorgeht, entsteht eine starke finanzielle Abhängigkeit von dem Partner, der einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Trennen sie sich irgendwann, so sieht die Mutter sich nicht selten mit Altersarmut konfrontiert. Denn sie hatte ja viel weniger Gelegenheit in die Rentenkasse einzuzahlen. Hierfür muss auf politischer Ebene ein Ausgleich geschaffen werden. Aber das alles hängt nicht am Stillen, sondern am politischen Willen!

Stillen ist ein Reizthema

Stillen oder nicht stillen – das ist eines dieser Themen, das die Gemüter bewegt und sehr emotional besetzt ist. Zu stillen ist meist keine reine Kopfentscheidung. Manchmal möchte die Frau stillen, es klappt aber nicht und von da an ist Stillen ein Wehmutsthema. Manchmal führt Stillen wirklich in die Isolation, weil es nur abgeschottet klappt. Manchmal machen Stillende schlechte Erfahrungen mit ihrer Umwelt. Manchmal ist Stillen wirklich so großartig. Und manchmal ist Stillen eben nur Stillen.
Die Bandbreite ist groß. Menschen sind verschieden und Wünsche und Ideale auch.

Stillen ist Liebe!

Ich mag den Slogan: „Stillen ist Liebe“. Für mich bedeutet das nicht, dass Flasche füttern nicht Liebe ist. Vieles was wir für unsere Kinder tun, ist von Liebe geprägt. Das ist nur eine Aussage, eine Anerkennung der Leistung, der Arbeit. Einer Arbeit, die nur Frauen tun können. Frauenarbeit wird ja allgemeinhin nicht sehr anerkannt. Daher finde ich es schön dass mal zu wertschätzen: Toll, dass du das machst. Das nächtliche Stillen, das tägliche Stillen, das stündliche Stillen. Das Stillen. Toll, good job!

Diese Frauenarbeit wird doch meistens als selbstverständlich angesehen. Übrigens ganz anders als beim Flasche-fütternden Partner (ich wähle hier extra die rein männliche Form). Väter, die Füttern und andere Care-Arbeit übernehmen, werden immer über den grünen Klee gelobt. Warum denn nicht mal die stillenden Frauen wertschätzen? 

Dass Nicht-Stillende sich davon diskriminiert fühlen, finde ich schade. Warum ist das so? Ist ein Lob einer Gruppe automatisch eine Kritik an einer anderen? So ist es jedenfalls nicht gemeint.

Was sind die Stillauswirkungen?

Für Frauen, für Männer, für Kinder, für Menschen, für die Gesellschaft?

Was ich an dem Text in der Zett gut finde, ist, dass er diesen Diskurs gebracht hat. Das Thema hat in den sozialen Medien (besonders Instagram) ziemlich hohe Wellen geschlagen. Insofern: Vielen Dank, liebe Mareice, für diesen Anstoß.

Ich denke ja oft: Über das Stillen wurde jetzt alles gesagt:

…aber vielleicht stimmt das gar nicht. Vielleicht ist das Thema gesellschaftlich einfach noch einmal dran.
Mich würde wirklich interessieren, wie ihr zum Still-Feminismus steht. Na los. Haut raus!

Jede Frau hat das Recht auf eine positive, selbstbestimmte Geburtserfahrung. Seit ich Hebamme geworden bin verhelfe ich Frauen dazu.
Ich bin Jana Friedrich, Mutter von zwei Kindern, Hebamme seit 1998 (und seit September 2020 mit B. Sc. of Midwifery), Bloggerin seit 2012, Autorin zweier Bücher, Speakerin und Expertin im Themenbereich Familie. Mit meiner Expertise unterstütze ich darüber hinaus auch Kulturschaffende, Firmen und Politiker*innen.
In diesem Blog teile ich mit dir mein Wissen und meine Erfahrung rund um Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und das erste Jahr mit Baby.
Du bekommst bei mir Informationen, Beratung und „Zutaten“ zur Meinungsbildung für eines der spannendsten Abenteuer des Lebens.

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20 Kommentare
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    Nurit Anders sagte:

    Feminismus heißt auch sich nicht sagen zu lassen wie frau mit ihrem Körper umzugehen hat. Stillen ist feministisch, wenn frau sich selbst dazu entschieden hat. Ebenso bei der Flasche.

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        Inga sagte:

        Ich habe bei einem Kommentar unter Mareices Artikel gezuckt: Ein Mann schrieb, stillen odet nicht stillen sei eine Entscheidung beider Partner.

        Ich fürchte, das kann ich nicht untrtschreiben. Klar haben wir darüber geredet, aber entschieden habe ich letztlich. Denn, ähm, MEIN Körper, MEINE Brüste 🙂

        Ansonsten habe ich mir nicht viele Gedanken gemacht, wie das meine Rolle in der Partnerschaft/Gesellschaft beeinflusst. Diese Beeinflussung findet doch nur statt, wenn ich sie zulasse! Ist mir egal, was andere darüber denken.
        Meine Meinung war: Stillen ist gut fürs Kind, also mache ich es, wenn es klappt. Ich fand es weder toll noch furchtbar, funktioniert hat es tadellos. Für mich war stillen einfach nur stillen- nichts sonst 🙂

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    Fredi sagte:

    In meinem Umfeld bekommen gerade viele gut ausgebildete gut verdienende Frauen mit Buerojob ein Baby. Ausnahmslos bleiben sie das erste Jahr zu Hause. Grund, warum nicht der Partner die Babypflege zumindest zur Haelfte uebernimmt: das Stillen. Das Stillen scheint daher enorme Auswirkungen auf die Rolle in der Partnerschaft zu haben. Anders als andere Aufgaben laesst sich das eben nicht „buendeln“ oder teilen, sondern erfordert gerade bei kleinen Babies staendige Verfuegbarkeit der Mutter. Und ja, man kann abpumpen (so habe ich das gemacht, hat aber anstrengende Nebenwirkungen und wird von vielen als „Kruecke“ empfunden, weil Stillen ja nicht nur Muttermilch bedeutet), und ja, es gibt viele gute Gruende fuer das Stillen. Aber wenn es ueberall hiesse „Flaeschen ist genau so gut fuer ihr Baby“ und das auch stimmen wuerde, dann saehe die partnerschaftliche Rollenverteilung sicher vielfach anders aus. Von daher ist es fuer mich auch ein Feminismus-Thema (nicht im Sinnne von „es ist unfeministisch, sich fuer das Stillen zu entscheiden“; aber Stillen sollte nicht als etwas Selbstverstaendliches gesehen werden, sondern geht fuer Frauen, die Wert auf Beruf und Unabhaengigkeit legen, durchaus mit besonderen Einschraenkungen einher – das sollte anerkannt werden).

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      Jana Friedrich sagte:

      Ja, das stimmt natürlich. Das ist beruflich erst mal einschränkend. Kann jedenfalls sein. Ich hab das so gemacht wie du und bis echt schnell wieder arbeiten gegangen. Aber das Pumpen ist schon auch anstrengend. Da hast du Recht.
      Bei mir hat das, durch die Arbeit im Schichtdienst, keinen großen Unterschied innerhalb der Arbeitsaufteilung, innerhalb der Beziehung gemacht. War ich über Nacht weg, musste mein Partner dem Kind die Flasche fertig machen… War ich da, hab ich gestillt. Daher hatte ich nicht das Gefühl, alles bleibt an mir hängen.
      Aber das ist sicher sehr individuell, wie man das regelt. Aber tatsächlich geht es auch sehr gleich, wenn man das will.

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    Anne sagte:

    Ich habe stillende Frauen schon immer als stark und selbstbewusst wahrgenommen. Und ich finde auch, dass es ein feministisches Statement ist, wenn eine Frau im öffentlichen Raum ihr Kind stillt. Immerhin lässt sich diese Frau im diesem Moment von keinem vorschreiben, dass sie sich nicht entblößen darf.
    Seit der Geburt meiner Tochter ist auch mein Selbstbewusstsein als Frau gestiegen. Meine Brüste müssen jetzt nicht mehr “geil” oder “sexy” sein. Sie müssen mein Kind ernähren und das machen sie richtig großartig!
    Ich finde es schade, wenn der Feminismus zur Ausgrenzung genutzt wird. Vielmehr sollte er doch dazu dienen jede Frau darin zu unterstützen, dass sie ihre eigenen Entscheidungen treffen und umsetzen kann. Ich bin seit 6 Monaten eine Mutter und ich liebe es. Ich liebe es aber auch arbeiten zu gehen und meinen Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können. Aber für alles gibt es eine Zeit und derzeitig habe ich mich dazu entschlossen eine Vollzeitmutter zu sein. Sollte meine Karriere allerdings erfordern, dass ich früher wieder in die Arbeitswelt zurückkehre, übernimmt mein Partner eben den Rest der Elternzeit.
    Genauso sieht es bei der Arbeitsteilung im Haushalt aus. Ich schaffe eben so viel wie ich schaffe, ich habe aber auch einen Anspruch auf meine Freizeit. Also muss auch mein Mann Zuhause mit anpacken. Und das macht er auch ohne zu murren, da er weiß wie viel Zeit unser Baby beansprucht.

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    Spätzchenmama sagte:

    Muss nun jedes Thema von Stiftung Feminismus Test durchgekaut werden?
    Im besten Fall haben wir uns als Frauen bewusst dazu entschieden Mutter zu werden, mit allem was dazu gehört. Die Natur hat es nunmal so eingerichtet, dass Säugetier Babies gestillt werden.
    Daran ändert auch keine noch so überzeugte Patriarchatskritikerin etwas.
    Ja! -Stillen ist Liebe.
    Dieselbe Liebe die ein Kind hat entstehen lassen, uns Kraft gibt es zu versorgen und aufzuziehen, die uns durchhalten lässt auch in kurzen Nächten.
    Ja!- Stillen ist feministisch.
    Nur wir Frauen haben diese einzigartige Super Power von Mutter Natur bekommen unsere Kinder mit der Kraft unseres Körpers, in völliger Unabhängigkeit von Partnern und Pulvern zu ernähren.

    Wie die Realität aussieht wenn das Baby da ist..andere Story.

    Danke Jana für diesen Artikel und die Vielseitigkeit deines Blogs!

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    Anita sagte:

    Vielen Dank für den interessanten Artikel (ich bin nach 6. Monaten wieder da). Hier in England wird das Thema Stillen vs. Flasche sehr leidenschaftlich diskutiert. Viele Flaschenmamas fühlen sich diskriminiert und einige reagieren ziemlich empfindlich auf alles, was zum Stillen gesagt wird.
    Da ich gerade ein Doktorstudium in “Motherhood Studies” angefangen habe, ist das alles hochinteressant. Ich plane einen Essay übers Stillen heute und im 18. Jahhundert. Im Feminismus der 70er Jahre ist ja die Rede vom Patriarchat, das die Mutter an zu Hause bindet, isoliert und zur alleinigen Erziehungsperson macht. Das kann bei einer Flaschenmama genausp passieren wie bei der Stillmama. Andere Faktoren spielen eine viel größere Rolle.

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    Carmen sagte:

    Ich merke gerade, wie mich dieses Still-Thema immer wieder aufwühlt.
    Ich kann das Gefühl von Diskriminierung von Menschen, die sich für eine Fläschchennahrung für ihr Baby entscheiden durchaus verstehen. Es ist in Deutschland überhaupt nicht möglich Kinder-/ Babymilch zu kaufen, ohne dass einem Sprüche, wie “Stillen ist die beste und natürlichste Ernährung für ihr Baby” oder “Stillen ist das Beste für Mutter und Kind” begegnen. Sie stehen auf den Packungen und schieben sich beim Online-Shopping als (Warn-)Hinweise in den Vordergrund.
    “Das Beste” ist nicht nur ein Lob, sondern ganz klar eine eindeutige maximal-positive (Über-)Bewertung des Stillens. Ein Fläschchen zu füttern ist dann vielleicht die zweit-beste Wahl und immer noch gut oder ok, aber bestimmt nicht genauso ok, wie das Stillen.
    Ich kenne Frauen, denen das Stillen keine Freude gemacht hat, und die es trotzdem so lange wie möglich ausgehalten haben, weil “es ja das Beste für Mutter und Kind” ist. Das macht mich traurig und da werde ich in Diskussionen auch gerne deutlich: Ja, Stillen kann bequem sein, kann gut sein, kann allen gut tun, aber wir haben eine ausgezeichnete Milchnahrung und Nicht-Stillen war noch nie so gut, wie heute.
    In meiner Wahrnehmung müssen sich Mütter, die nicht stillen, sehr oft rechtfertigen und in große vorwurfsvolle Augen anderer Mütter blicken, die begeisterte Stillerinnen sind. Ist es nicht viel wichtiger, dass sich die Mutter wohlfühlt, bei dem was sie tut?
    Ich nehme einen subtilen Stillzwang wahr und freue mich über jedes deutlich positive Wort über Flaschennahrung. Nicht, weil ich nicht auch gerne gestillt habe, sondern, weil ich schon zu oft gesehen habe, dass sich Mütter “zum Wohle ihres Kindes” zum Stillen zwingen. Eine echte Entscheidungsfreiheit sehe ich wirklich nicht – darum bin ich Feminist*innen dankbar, die sich deutlich äußern. Erst, wenn Stillen aus der Idealisierungsecke herausgedrängt wird, können sich Eltern wirklich frei entscheiden, wie sie ihr Kind ernähren wollen. Dann erst finden sie heraus, was für sie das “Beste” ist. Das Beste für Mama, Papa und Kind.

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      Jana Friedrich sagte:

      Liebe Carmen, ist es diskriminierend zu sagen, dass etwas optimaler ist? Muttermilch ist die perfekteste Ernährung für menschliche Babys. Flaschennahrung muss sich gegen diese, über Jahrtausende optimierte Nahrung behaupten. Und es ist einfach Fakt, dass sie das nur zu einem kleinen Teil kann. Sie enthält alle lebenswichtige Bestandteile, aber eben nicht die Immunstoffe, die genau abgestimmten Bakterien, die den Darm perfekt auskleiden, die Hormone, die speziellen Fette, die Antiproteasen, die allergische Reaktionen verhindern, die Antimikrobiellen Faktoren und und und. Flaschennahrung war noch nie so gut wie heute und ist doch immer noch weit weg von Muttermilch. Ist es verboten das zu kommunizieren? Ist das eine Überbewertung? Zu sagen, dass es gleich gut ist, wäre gelogen.
      Und trotzdem kann es jede selbst entscheiden. Kinder werden auch mit aus Kuhmilch (also mit Nahrung eines anderen Säugetiers) hergestellter Säuglingsnahrung groß. Wenn man nicht Stillen will, muss man nicht. Einen Zwang gibt es ganz bestimmt nicht. Wer nicht stillen will, soll einfach nicht stillen. Aber wenn man sich mal die Zahlen anschaut, wieviele Frauen stillen und wieviele nicht stillen, dann braucht eindeutig Stillen mehr Werbung als künstliche Nahrung.

      Ich weiß, dass war jetzt nicht gerade deeskalierend. Aber ich kann eben auch nicht aus meiner Hebammenhaut.
      Liebe Grüße
      Jana

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        Carmen sagte:

        Ja, das Schönste wäre, wenn es keinen Zwang und keinen Druck gibt. Da gehe ich voll mit. Ich nehme es einfach nur anders wahr.
        Vielleicht wäre eine Werbung, die Lust macht auf das Stillen, und keinen Frust bei denen, die nicht Stillen (können), das Ideal und ein gemeinsamer Weg? 😉

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    Miriam sagte:

    Ich stimme Carmen voll zu! Es geht nicht darum zu leugnen, dass Stillen eine super Nahrung für ein Neugeborenes ist. Ich denke vielmehr, der Druck bei Müttern, besonders Akademikerinnen, die sich in so vielen gesellschaftlichen Bereichen einem hohen Perfektionsdruck aussetzen (Studium, Festanstellung, Partnerschaft, Familie, Selbstverwirklichung, Fitness) muss raus genommen werden. Sie machen doch schon alles so toll! Warum muss die Ernährung eines Neugeborenen nur an ihnen liegen?
    Für mich, die nur kurz gestillt hat und dann zur Flasche greifen sollte, waren die Selbstzweifel jedes Mal bei beiden Kindern enorm. Sie bestimmten monatelang meinen Gemütszustand und die Themen, die ich mit meinem Partner hatte. Warum misst sich das Selbstbewusstsein als Akademikermutter so sehr daran, ob sie stillt oder nicht?
    Ich denke auch, die meisten nicht stillenden Mütter gibt es vor allem in anderen, ärmeren Gesellschaftsschichten. Diese wiederum haben wahrscheinlich so viele andere existenzielle Probleme, dass sie sich den Stillzwang nicht aufdrücken lassen. Und mehr Kinder. Aber über diese reden wir hier nicht!! Die schreiben keinen Blog, über die berichtet auch keine Hebamme. Aber es müssen doch so viele Frauen sein!
    Stillenpropaganda ist für mich ein Luxusproblem, mit dem sich bezeichnender Weise reiche Industrienationen auseinander setzen.
    Mein Umfeld habe ich so verrückt gemacht, dass sich keine*r mehr traut zu fragen, ob die Mutter stillt oder “wie es denn klappt”. Sie wird sich schon selbst äußern, wenn sie Bedarf hat über dieses belastende Thema zu reden!
    Stillen ist solange keine freie Entscheidung, wie man nicht auch über die Vorteile eines Fläschchens für die Babys und Eltern spricht. Muttermilch enthält – wie unsere Nahrung insgesamt – auch Schwermetalle, Mikroplastik und strahlenverseuchte Anteile, die wir in Früchten und Gemüse zu uns nehmen, weil sie in der Nähe von bspw. Atomkraftwerken wachsen. Na Prostmahlzeit!
    Auf alle Fälle ist Stillen ein komplexes Thema, das gerade nicht die optimale Ernährung des Säuglings im Fokus hat, sondern vielmehr hierzulande das Bild der perfekten Mutter bestimmt. Wollen und brauchen wir Frauen sowas wirklich? 😉

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      Jana Friedrich sagte:

      Da kann ich nicht zustimmen. Für mich geht es genau um die optimale Nahrung für das Baby. Gestillt zu werden ist für jedes Kind ein gesundheitliches Geschenk. Wir müssen uns das bewusst machen. Und das ist ein globales Thema. Gerade in Ländern, in denen die Familien wirtschaftlich nicht so gut aufgestellt sind, ist Stillen unglaublich wertvoll. In diesen Ländern sterben viele Kinder, weil das Wasser zum Anrühren der Nahrung so dreckig ist, oder weil das teure Pulver auf Dauer doch unerschwinglich ist.
      Aber zurück zu den Akademikerinnen der reichen Welt. Ich finde es schade, dass Stillen ein Emanzipationsthema geworden ist. Denn es gibt so viele Stellschrauben, die noch gedreht werden müssten. Warum ausgerechnet etwas, was die kindliche Gesundheit beeinflusst. Und zu negieren, dass Muttermilch besser ist, ist absurd. Selbst, wenn sie genau so belastet ist, wie Nahrung, dann überwiegt doch noch die Fülle der nicht kopierbaren Bestandteile. Es macht einen Unterschied.
      Also ich finde, es gibt genug Dinge, die der Partner tun kann, solange die Frau stillt, damit das Gleichgewicht erhalten bleibt. Soll er doch waschen, putzen, einkaufen, kochen und seiner stillenden Frau Getränke reichen. Wär das echt so unemanzipiert?
      Dennoch kann natürlich jede Frau selbst entscheiden, ob sie stillen will oder nicht. Aber emanzipierter finde ich nicht stillende Frauen ganz bestimmt nicht.
      Liebe Grüße
      J

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    regsicil sagte:

    Auch ich habe bei dem Artikel von Mareice gezuckt, aber heftig….hier wurde ganz klar etwas missverstanden und im Rahmen von Stillfrustration rausgehauen….machen ja viele: wenn man das Ersehnte nicht schafft, einfach schlecht machen, dann tut es nicht so weh…rechtfertig, umkehren und die Welt ist wieder in Ordung. Schade. Deinen Artikel finde ich hingegen sehr gut. Nur, dass das Stillen “erstmal nur eine Ernaehrungsform ist”, ist nicht korrekt. Stillen ist so viel mehr….obwohl es das normalste der Welt ist. Love it! Ich bin Stillfachperson, Buchautrin eines Stillratgebers und NICHTstillratgebers!

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      Jana Friedrich sagte:

      Danke dir. Ich glaube ich habe herausgearbeitet, dass Stillen etwas mehr als eine Ernährungsform ist. Ich wollte aber deutlich machen, dass ein Kind so oder so ernährt werden muss und dass das immer auch eine Aufgabe ist – eine von vielen, die mit einem Kind entstehen.
      Tolle Arbeit, vielleicht magst du mal einen Gasttext schreiben?!
      Liebe Grüsse
      Jana

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  9. Avatar
    RoseLeBlood sagte:

    Mal so angemerkt die Brust eines Mannes kann auch Milch produzieren. Das Hormon zur Milch produktion Prolaktin wird in der hirnhangdruse produziert und durch Stimulation der Brust wird das Hormon freigesetzt. Nach der Geburt ist beim männlichen Partner auch eine Erhöhung des Prolaktinsspiegels messbar. Wenn jetzt das Baby den Mann angesetzt wird kann auch der Mann stillen zwar nicht so dolle wie eine Frau, aber funktioniert.

    Aber ich finde es auch komisch das stillen als unfeministisch angesehen wird
    Klar gibt noch viele andere Bereiche in der die andere Seite mit helfen kann. Aber da ist das Reden wichtig und das erlebe ich viel das obwohl sie auf Gleichberechtigung bestanden wird und offen für dieses thema plediert wird, im privaten noch weniger kommuniziert wird
    Einmal hörte ich das der*die Partner*in das wissen muss was sie fühle und denke… Daher sei reden nicht wichtig

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      Jana Friedrich sagte:

      Stimmt. Da gibt es verrückte Geschichten von stillenden Seefahrern. Wird aber nicht ausreichen, um ein Baby gut zu ernähren.
      Und wie du sagst: Reden ist wichtig und Aufgaben gut verteilen, damit nicht alles an einem hängen bleibt. Dann passt das schon.
      Danke für deinen Hinweis.
      Liebe Grüsse
      Jana

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