Let`s talk about (In)Kontinenz! #Lebenstattmüssen
Eine Schwangerschaft und eine natürliche Geburt erhöhen das Risiko von Inkontinenz. Auch wenn es unsinnig ist, aus diesem Grund lieber einen Kaiserschnitt zu machen (die Vorteile einer Spontangeburt überwiegen in den allermeisten Fällen die Nachteile), so muss man doch auch mal über Inkontinenz sprechen. Denn glücklicherweise gibt es eine ganze Menge, was man – auch präventiv – gegen Inkontinenz tun kann, statt die scheinbar harmlosen „Uups-Momente“ lächelnd zu ertragen.
Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit Dr. med. Thomas Fink, Leiter des Beckenbodenzentrums im Sana Klinikum Lichtenberg, über die aktuellen Erkenntnisse in Sachen „Inkontinenz bei Müttern“ auszufragen. Wir trafen uns im Rahmen einer Veranstaltung der Deutschen Kontinenz Gesellschaft, zu der wir beide eingeladen waren. Folgende Erkenntnisse stammen sowohl aus unserem Gespräch und dem Vortrag, den Dr. Fink mir im Anschluss an das Event zur Verfügung gestellt hat, als auch aus dem „Fact Sheet“ der Deutschen Kontinenzgesellschaft.
Vor der Geburt – Inkontinenz schon während der Schwangerschaft vorbeugen
Schon Schwangere können durchaus etwas tun, um Inkontinenz zu vermeiden. Es gibt nämlich Faktoren, die das Risiko einer Beckenbodenschwäche verringern. Und zwar teilweise deutlich! Zu den wirkungsvollsten Maßnahmen gehören:
- Tägliche Aktivitäten wie z.B. Radfahren (Sport verringert das Risiko um 50%!)
- Beckenbodenübungen vor der Geburt (verringern das Risiko um ca. 30%)
- Nicht rauchen (20 Zigaretten am Tag erhöhen das Risiko um fast das Dreifache/ das 2,6-fache )
- Koffein und Teein vermeiden (drei und mehr Tassen pro Tag erhöhen das Risiko um den Faktor 1,6)
- Verstopfungen und starkes Pressen auf der Toilette sollten vermieden werden
- Normalgewicht (Übergewicht erhöht das Risiko um das 2,6-fache)
Bei 70% aller Frauen, die in der Schwangerschaft Inkontinenzerscheinungen haben, verschwinden diese ganz von allein wieder. Aber auch Frauen, die weiterhin Probleme haben, kann zu 95% geholfen werden.
Vermeiden von Inkontinenzfaktoren während der Geburt
Es gibt eine Reihe von Interventionen, die die Wahrscheinlichkeit von Beckenbodenverletzungen und somit langfristigen Problemen erhöhen. Dazu gehören:
- Epiosotomie (Dammschnitt)
- Eine vaginal-operative Geburtsbeendigung (also mit einer Saugglocke oder einer Geburtszange – die Zangengeburten schnitten in den Studien besonders schlecht ab)
- Eine besonders lange Pressperiode
- Powerpressen
- Steinschnittlage (Rückenlage)
(Ein hohes Geburtsgewicht des Kindes und ein großer Kopfumfang können das Risiko von Inkontinenz ebenfalls erhöhen, allerdings kann man diese Faktoren nunmal nicht beeinflussen.)
Natürlich lässt sich nicht alles vermeiden, das ist klar. Aber noch immer werden viele Frauen in der ungünstigen Rückenlage entbunden, noch immer ist ein Schnitt schnell gemacht. Immer noch wird häufig viel zu früh zum Pressen angeleitet. Übrigens führt die tiefe Hocke/ „Squatting“, zu mehr Verletzungen des Schließmuskels..
Nach der Geburt – was hilft gegen Inkontinenz?
20% aller Mütter haben nach der Geburt Probleme ihren Urin zu halten. Denn durch die starke Dehnung während der Geburt erfährt der Beckenboden eine massive Schwächung. Aber er regeneriert sich auch wieder. Zu einem Großteil tut er das ganz von selbst. Denn der Beckenboden arbeitet, ohne dass uns das bewusst ist, ständig. Einfach nur durchs Atmen, Aufstehen, Laufen, Hinsetzen, Umdrehen…
Während der ersten 6 bis 8 Wochen nach der Geburt – also während der natürlichen Regenerations-Zeit – sollte er jedoch nicht zusätzlich strapaziert werden. Auch deshalb ist es wichtig, ein gutes Wochenbett mit viel Ruhe und Schonung einzuhalten. Dennoch tut dem Beckenboden ein wenig Extraansprache gut. Schon nach einigen Tagen, kann man beginnen ihn wieder zu erfühlen und nach und nach mehr zu fordern. Spezielle Übungen, die einem die Hebamme im Wochenbett gerne zeigt, helfen dabei. Welche guten Bücher, Übungskarten und Kurse es gibt, darüber habe ich hier geschrieben.
Acht Wochen nach der Geburt, sollten Frauen ihren Urin wieder gezielt halten können. Ab dann kann man auch mit einem speziellen Rückbildungskurs beginnen. Wenn das aber nicht ausreicht, geht man besser zu einem Facharzt! Leider scheuen mehr als 60% aller Betroffenen den Arztbesuch. Und das obwohl die Erfolgsaussicht für Heilung wirklich groß ist.
Über Inkontinenz reden
Was noch? Redet über eure Erfahrungen. Schreibt darüber. Lasst uns verhindern, dass der erste Google-Eintrag zu diesem Thema zu einer Bindenmarke führt statt zu einer Seite auf der man echte Hilfe bekommt; dass wir resigniert in der Drogerie Inkontinenzbinden kaufen, dass wir gesellschaftliche Anlässe scheuen, aus Angst man könnte etwas riechen. Also sprecht offen über eure Erfahrungen und nutzt dazu gerne den Hashtag #lebenstattmüssen, der Kontinenzgesellschaft. Und wenn ihr betroffen seid, dann geht in ein Beckenbodenzentrum und lasst euch beraten.
Danke für den sehr hilfreichen Beitrag, liebe Jana.
Ich kann voll bestätigen, was du sagst. In der zweiten Schwangerschaft hat mich eine Belastungsinkontinenz Grad I erwischt und ich hatte bei dem ersten Kind tatsächliche viele Risikofaktoren eingesammelt. Das hat sich zum Glück von selbst wieder gegeben; jetzt, fast sechs Monate nach dem zweiten Kind, ist nie mehr was in die Hose gegangen.
Dennoch: ich merke jede Anstrengung des Tages abends ganz deutlich im Beckenboden. Besonders den Kurzen im Tuch zu tragen strengt unten alles an, teilweise tut es sogar weh und ich habe ein Fremdkörpergefühl in der Scheide – auch wenn ich fleißig dagegen halte, auch mit den Bauchmuskeln, und obwohl ich häufig ganz gezielte Übungen mache. Und auch der Sex fühlt sich anders an.
Ob das auch wieder weg geht?
Wie kommt man an ein Beckenbodenzentrum dran – Überweisung vom Gynäkologen, einfach hingehen…?
Vielen Dank und beste Grüße! Anna
Liebe Anna,
genau! Es bleibt letztendlich lebenslang ein wichtiges Thema.
Wenn du dich eigentlich im Alltag OK fühlst, aber längere Belastungen eben noch deutlich spürbar sind, oder der Sex noch sehr anders ist, dann wende dich doch zunächst gezielt an eine Beckenbodentrainerin/Physiotherapeutin.
Ansonsten ist ein Check im BeBozentrum natürlich auch sinnvoll. Eine Überweisung bekommst du von deiner Gynäkologin oder Hausärztin.
Ganz liebe Grüße
Jana
Neues vom Beckenboden…
Hallo liebe Jana!
Jetzt ist es schon über ein Jahr her, dass wir hier kurz über meine BeBo-Probleme gesprochen haben. Mein “Kurzer” von damals ist jetzt 20 Monate alt und lässt sich leider immer noch zu gerne tragen…
Ich würde dir gerne berichten, wie es mir ergangen ist.
Meine Inkontinenz hat sich nie wieder blicken lassen, ganz von alleine. Der Druck nach unten nach zu langem Tragen war fast weg – selbst bei unserem Umzug hab ich nach 120 Kisten keine Einschränkungen (des Beckenbodens) gefühlt.
Aber dann kamen viele Probleme ganz plötzlich zurück…
Als ich wieder anfing zu arbeiten (Lehrerin – Grundschule – Sport), hab ich gemerkt, dass das Schleppen von Sportgeräten zu Schmerzen im BeBo führte. Bewusstes Anspannen beim Tragen half da erstmal.
Zusätzlich habe ich während der Periode Probleme bekommen. Die ist seit den Geburten wahnsinnig stark und ich blute selbst große Tampons ziemlich schnell voll. Wenn diese Riesendinger dann so schwer werden, merke ich das auch sofort im BeBo. Sie fallen nicht raus, aber das Halten tut unten tatsächlich weh und ich mag während der Tage nicht mehr lange spazieren gehen oder rumstehen.
Und im Dezember sagte dann mein neuer Frauenarzt, kaum das ich mich auf dem Stuhl platziert hatte: “Oh, Sie müssen aber was für Ihren Beckenboden tun!”.
“Shit”, dachte ich nur und hab dann tatsächlich mal gewagt, mir das “da unten” anzusehen. Da ist ganz viel Haut der inneren Hinterwand am Scheideneingang sichtbar.
Ich weiß nicht, ob das vielleicht ein Stück weit normal ist weil da einfach schon zwei Kinder durchgepresst worden sind und der Eingang zwei Mal verletzt und wieder vernäht wurde. Oder ist das schon eine handfeste Rektozele?
Ich hab mir eine Elvie zugelegt und trainiere täglich 2x 5 Minuten (je nach Zyklusstand fällt es mir übrigens mal schwerer und mal leichter, die Elvie zu halten und so kräftig wie möglich zu drücken).
Wenn ich nicht arbeiten muss, nutze ich auch Kugeln, die ich länger drin lassen kann.
Ich werde eine spezialisierte BeBo-Physiotherapeutin aufsuchen, die sich das mal ansieht.
Meine Frage wäre jetzt:
Angenommen, da ist tatsächlich ein beginnender Scheidenvorfall im Gange. Kann ich da mit Elvie oder den Kugeln etwas schlimmer machen? Die Elvie sitzt ja genau dort, wo die Scheidenwand so labberig geworden ist. Misst sie denn dann noch richtig?
Gibt es Kontraindikationen zum BeBo-Training?
Und eine große Angst habe ich noch. Ich wünsche mir noch ein drittes Kind. Wozu kann es führen, wenn ich mit einem geschwächten BeBo in die Schwangerschaft gehen würde?
Ganz liebe Grüße vom Rhein an die Spree!
Anna
Liebe Anna,
grundsätzlich kannst du es damit nicht schlimmer machen. Aber besser wird es bei so einem schweren Fall wohl auch nicht durch das Training.
Du solltest dir dringend einen Termin in einem Beckenbodenzentrum holen und die Optionen besprechen. Es gibt gute Methoden. Bitte mach das.
Liebe Grüße und gute Besserung!
Das ist ein sehr wichtiges Thema. Ich habe mich gestern noch über die Funktion des Beckenbodens unterhalten. Aber eine andere Frage. Was soll der Hashtag #lebenstattmüssen bedeuten?
Den hat sich die Kontinenzgesellschaft ausgedacht. Ich finde ihn ganz witzig. Müssen – im Sinne von Harndrang. Oder halt dafür sorgen müssen, dass man nicht nass ist…
Ah, ja. Okay, mit der Erklärung verstehe ich ihn dann auch. 😉 Ist für mich irgendwie um die Ecke gedacht.
Ein ganz ganz wichtiges Thema ! Und wirklich zu oft unterschätzt. Ich hatte selbst eine unschöne Geburt die mit Saugglocke und Schnitt endete ….und jetzt über 1 Jahr danach habe ich immer noch Probleme. Bei Anstrengungen vor allem aber manchmal auch so passiert immer noch was und ich muss mir eigentlich immer eine Slipeinlage einlegen. Auch Tampons funktionieren bei den Tagen nur noch bedingt und rutschen öfters raus. Ich habe viele Beckenbodensportkurse seitdem besucht und es wurde nur geringfügig besser.
Aber das schlimmste war nicht ernst genommen zu werden und sogar die FA meinte „ach so paar Tröpfchen das passiert schon mal mir auch“ ja aber vor der Geburt hatte ich das nicht nur mal….ich war dabei mich dem Schicksal zu ergeben
Deine Seite und meine Hebamme haben mich ermutigt mehr zu drängen und nun habe ich endlich eine Überweisung in ein Beckenbodenzentrum bekommen und werde sehen was kommt….nur nicht aufgeben
Das freut mich. Ich wünsche dir alles Gute. Das wird schon wieder!
Ganz liebe Grüße
Jana
Vor zwei Wochen kam meine Tochter auf die Welt und ich habe leider echt Probleme mit der Blase. Ich habe mir Pants für Inkontinenz bestellt, um im Alltag trotzdem mich frei bewegen zu können. Danke für den Tipp den Beckenboden zu trainieren und gegebenenfalls Rad zu fahren.
Tollen Beitrag, danke!
Dass 60% der Frauen keinen Facharzt besuchen, um das Incontinenzproblem zu verbessern, wundert mich nicht. Ich kenne sehr viele Frauen die vor kurzem Mütter geworden sind (ich darunter), und wer beim Frauenarzt oder in einem Beckenbodenzentrum war, hat meistens große Schwierigkeiten, ernst genommen zu werden, die Ärzte haben kein Interesse daran, uns zu helfen. Echt schade, so könnte man schlimmeren Problemen mit zunehmenden Alter vorbeugen oder vermeiden.
An einem BB-Zentrum? Das habe ich tatsächlich noch nicht erlebt…
“Wenn das aber nicht ausreicht, geht man besser zu einem Facharzt! Leider scheuen mehr als 60% aller Betroffenen den Arztbesuch. Und das obwohl die Erfolgsaussicht für Heilung wirklich groß ist.”
Die Haltung vieler Gynäkologen und Physiotherapeuten dazu macht es einem Betroffenen nicht gerade leicht! Häufig werden junge Frauen einfach nicht ernst genommen. Aussagen wie “Sie müssen halt konsequent BBgymnastik betreiben und nicht nur 4 Wochen lang! Ich zeig Ihnen da mal ne Übung… Oder tja, Sie haben 2 Kinder, da ist man nicht mehr wie neu” sind keine Hilfe, unterstellen der Patientin Untätigkeit und zu wenig Engagement und verunsichern, dass es überhaupt noch andere Hilfen für einen geben könnte bzw ob man denn überhaupt ein echtes Problem hat und vielleicht bloß rumjammert? Ist es denn normal, dass man sich beim bergabgehen ständig einpinkelt? Dass man ständig Wechseleinlagen dabei haben muss? Stehen bleiben und die Beine überkreuzen, bevor man hustet, um sich nicht nass zu machen? Normal, dass man bei Husten und Schnupfen quasi nicht mehr das Haus verlassen kann/will, weil man ständig ausläuft?
Puh, das ist hart. Meine Erfahrung ist auch, dass Gyns sich nicht automatisch auskennen. Aber vom Beckenbodenzentrum habe ich bissher immer nur Gutes gehört.