Meine persönliche, kleine Akademisierungsgeschichte
Seit Herbst 2018 studiere ich Hebammenkunde an der Evangelischen Hochschule in Berlin. „Warum machst du das?“, werde ich regelmäßig von Kolleginnen gefragt. „Was hast du denn davon?“ Es ist dieselbe Frage, die zurzeit auch in der Öffentlichkeit gestellt wird: „Warum soll der Hebammenberuf akademisiert werden?“
Ich bin seit 20 Jahren Hebamme. Natürlich fühle ich mich erfahren und sattelfest, wie wohl die meisten, die diesen Beruf eine Weile ausgeübt haben. Ich erhalte sehr viel Anerkennung und Dankbarkeit von den Familien, die ich betreue. Auch gehe ich, wie die allermeisten von uns, regelmäßig zu diversen Fortbildungen. Das macht mir Spaß, mal ganz abgesehen davon, dass es eine Fortbildungspflicht in meinem Beruf gibt. Ich fühle mich also durchaus fit und up to date.
Besser studiert?
Denke ich, dass ich nach dem Studium dann besser bin, als meine Kolleginnen? Ganz sicher nicht. Es ist und bleibt ein sehr praktischer Beruf, in dem man nur glänzen kann, wenn man ihn ausübt; mit ganzem Herzen, hochgekrempelten Ärmeln und ganz viel Engagement. Das dafür nötige Fachwissen hat uns natürlich auch die Ausbildung schon vermittelt.
„Hebammen arbeiten sehr selbständig und unabhängig – ein Alleinstellungsmerkmal im deutschen Gesundheitssystem. Sie müssen über umfassende Kenntnisse und aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse verfügen, komplexe physiologische und psychische Prozesse begleiten und einer großen Verantwortung gerecht werden. Hebammen arbeiten bereits heute auf einem akademisierten Niveau.“
(Deutscher Hebammenverband, 2018)
Wird mir das Studium eine bessere Bezahlung bringen? Nicht automatisch, das müsste man verhandeln. Momentan werden Hebammen, mit und ohne Studium, zunächst meist dieselben Verträge angeboten.
Möchte ich meinen originären Beruf verlassen und eine akademische Kariere machen? Eigentlich nicht, aber wer weiß – ich werde älter und möchte oder kann vielleicht irgendwann nicht mehr so eine auch körperlich anstrengende Arbeit ausüben.
Außerdem werden meine Kinder älter und vielleicht würde es mich interessieren mal in einem anderen Land zu arbeiten. Zumindest EU-weit ist die Akademisierung des Berufes ja schon umgesetzt. Momentan würde man mir, durch meine „niedrigere“ Qualifikation, aber auch nur einen viel niedriger qualifizierten Job geben. Ich würde also weniger verdienen als meine Kolleginnen dort.
Neugier ohne Masterplan
Die Wahrheit ist: einen Masterplan, was ich mit meinem Bachelor dann anfangen möchte, habe ich gar nicht. Ich weiß auch noch nicht, ob es dann dabei bleibt, oder ob es dann auch noch ein Master sein muss. Um in der Lehre tätig zu werden, bräuchte ich ihn schon noch. In Berlin gibt es momentan noch keine Möglichkeit, einen Master in Hebammenkunde zu machen. Hier müsste man momentan z.B. auf Pflegepädagogik o. ä. ausweichen.
Warum also? Ich habe bis heute nicht ansatzweise das Interesse an diesem wunderbaren Beruf verloren und wollte schon immer alles ergründen, was er zu bieten hat. Ich finde es wahnsinnig spannend mir den wissenschaftlichen Hintergrund abzuholen. Hätte es das Studium schon gegeben, als ich die Ausbildung begonnen habe, wäre ich diesen Weg von Anfang an gegangen.
Vor zehn Jahren war ich schon einmal fast so weit: Ich hatte mir alle Unterlagen für ein Fernstudium in England schicken lassen. Letztendlich habe ich sie nie abgeschickt. Meine Kinder waren noch so klein und ich konnte mir nicht vorstellen beides gut hinzukriegen. Die Familie ging vor. Und das war gut so.
Inzwischen gibt es den Studiengang seit einigen Jahren in Berlin – keine Ausreden mehr. So begann ich im Oktober – gleichzeitig mit meiner Tochter – zu studieren. Das ist irgendwie sehr nett. Denn normalerweise haben Eltern und ihre erwachsenen Kinder ja ganz andere Lebenswelten. Unsere haben momentan zumindest eine große Überschneidung. Gleichzeitig studiere ich mit Mädels (Jungs sind nicht dabei), die teilweise so alt sind wie meine Tochter. Aber nicht alle, denn einige haben bereits andere Berufe davor ergriffen, Familien gegründet oder sind ausgiebig gereist. Es ist eine gute Mischung.
Dagegen!
Ich bin wirklich sehr erstaunt, wieviel Kritik ich dafür kassiere, dass ich das Studium aufgenommen habe. Eine Frau, mit der ich darüber sprach, sagte mir: sie fänd das wirklich sehr egoistisch von mir. Schließlich ginge die Zeit, die ich in der Uni verbrächte ja von der Betreuungszeit ab und meine Arbeit würde von den ganzen gelesenen Studien ja nun nicht besser werden. Tja, was sagt man da?
Selbst einige Kolleginnen beäugen mein Tun mit Skepsis und haben Angst vor „zwei-Klassen-Kreißsälen“. Ich finde das wirklich verrückt. Aber es sind Ängste, die man wohl auch irgendwie erst nehmen und denen man begegnen muss. Denn bisher war es schon so, dass das Ansehen einer Hebamme wohl auch mit den Dienstjahren gestiegen ist. Jetzt kommen sehr junge, sehr selbstbewusste Frauen in den Kreißsaal und wollen die geburtshilfliche Welt aus den Fugen heben. Wie wunderbar! Aber vielleicht auch: wie beängstigend?
Ob sie es besser können werden sie so oder erst noch beweisen müssen.
Theorie & Praxis
Mir offenbarte sich zumindest schon öfter eine große Diskrepanz zwischen dem was in der Uni gelehrt wird und dem was in der Praxis möglich ist. Und zwar nicht nur, weil Klinikregeln und Richtlinien dazwischenstehen, sondern auch, weil einiges ganz praktisch nicht so umsetzbar ist, wie die Theorien das gern hätten. In erster Linie sind viele der Ideen & Ideale sehr, sehr zeitaufwendig. Aber wer weiß, vielleicht bekommen wir das System ja irgendwann so umgemodelt, dass vieles möglich wird…
Wohin geht die Reise?
Zumindest ist die Idee der Akademisierung des Hebammenberufes ja auch nicht erst gerade gestern vom Himmel gefallen. Auch wenn sich der derzeitige Gesundheitsminister Herr Spahn gerne als ihr Schöpfer feiern lassen würde. Schon vor zwanzig Jahren, während meiner Ausbildung, wurde uns angekündigt, dass es ganz bald soweit sein würde. Nun, es hat etwas länger gedauert. Also davon gehört haben, dass die Akademisierung irgendwann kommt, müssen wohl alle Hebammen schon einmal.
Ehrlich gesagt sind wir ja extrem spät dran. Da die vollständige Akademisierung eine EU-Vorgabe ist, die bis 2020 umgesetzt sein soll, wird Deutschland sogar eine Strafe zahlen müssen. Denn es gibt noch lang nicht genug Studienplätze, dafür aber immer noch Hebammenschulen, die die Ausbildung anbieten.
Es braucht deutlich mehr Studienplätze für Hebammen wie mich, die das Studium gern nachholen möchten. Momentan gibt es davon noch viel zu wenige (hier in Berlin sind es derzeit nur 4 pro Jahr).
Das Studium ist bisher auch überhaupt nicht einheitlich geregelt. Es sind alles noch Modellstudiengänge. Je nachdem in welchem Bundesland man also studiert, gelten andere Regeln und auch das Curriculum unterscheidet sich leicht.
Wenn ich noch zehn Jahre älter wäre, würde ich das Studium vielleicht auch nicht mehr in Angriff nehmen. Ich verstehe also total, wenn Kolleginnen das nicht mehr machen wollen. Aber jede, die das will, sollte es können.
Uni-Updates
Ich jedenfalls bin bisher sehr happy mit meiner Entscheidung. Mal sehen was draus wird…
Da das Studium jetzt einen ziemlich großen Anteil meines Lebens einnimmt, und viele von euch auch schon auf diversen Kanälen gefragt haben, wie es denn so läuft, wird es hier – neben den üblichen Blogtexten – immer mal wieder kleine Studium-Updates geben. Neueste Erkenntnisse, inklusive.
Mal sehen, vielleicht hat ja auch eine Kommilitonin aus dem ersten Semester Lust hier davon zu berichten wie es ist, Hebammenkunde von Anfang an zu studieren. (Oder Jenny? ;-)). Von mir gibt’s dann immer mal wieder den QuereinsteigerInnen-Blick.
Wenn ihr Fragen zum Studium habt, dann hinterlasst einfach einen Kommentar weiter unten. Wenn möglich, beantworte ich euch gerne alles.
Hallo Jana,
Ich bewundere deinen Entschluss, nach mehreren Jahren Berufserfahrung noch zu studieren, sehr. Ich selbst mach im Moment mein Examen an der Hochschule Fulda und kann deinen Eindruck, dass einige (bzw. sogar viele) Kolleginnen diesen Weg nicht gut heißen, nur bestätigen. Diese Haltung und die Feindseligkeit, die einem von Kolleginnen entgegen schlägt, empfinde ich als unfair, auch wenn ich die meisten Bedenken verstehen kann.
Um deine Anmerkung zum Thema Modellstudiengang zu ergänzen: eine Sorge ist sogar sehr berechtigt: die uneinheitliche Struktur der einzelnen Studiengänge und die daraus resultierende Diskrepanz zwischen den frisch studierten Hebammen.
Ich wünsch dir noch ganz viel Spaß, Ehrgeiz und Gelassenheit in deinem Studium 😉
Vielen Dank und viel Erfolg beim Examen!
Ich denke es wird sich alles zurechtruckeln. Denn letztenendes wird an der Uni ja auch nur mit Wasser gewaschen. Total neue Erkenntnisse sind das ja nicht. Nur manches geht etwas mehr in die Tiefe und man lernt wie man Studien liest, kritisch hinterfragt und wie man selbst forscht. Am Handwerk ändert das ja nichts. Das werden auch die Kolleginnen merken und sich entspannen. Und die Studentinnen werden merken, dass sie von den alten Häsinnen viel lernen können.
Alles was neu ist, ist ja immer erst mal fremd. Aber sobald da etwas mehr Durchmischung drin ist, wird es schon. Da bin ich mir sicher.
Ganz liebe Grüße nach Fulda!
Jana
Liebe Jana,
Diesen Beitrag könnte ich genau so geschrieben haben (hab nur gar keinen Blog ). Bin seit 15 Jahren Hebamme, hab vor einigen Jahren meinen Bachelor in Köln “nachgeholt” (kann man das so nennen?) und schreibe gerade meine Masterarbeit (M.Sc. Pflegewissenschaft). Unzählige Male sind mir genau diese Fragen begegnet und ich bin immer wieder schockiert, wieviel Vorbehalte es leider auch von jungen Kolleginnen gibt! Das Studium hat meinen Horizont auf vielfältige Weise erweitert, ich bin froh, daß gemacht zu haben. Und während es in der konkreten Geburtssituation natürlich immer noch auf die Fertigkeiten ankommt, die ich an der Hebammenschule und in den Jahren danach erlernt habe, ist es für den Entwurf und die Verhandlung der geburtshilflichen Versorgung entscheidend, dass wir Hebammen auf akademischem Niveau mitdiskutieren können! In den einzelnen Kreißsälen und auf politischer Ebene. Denn da gibt’s ja nun wirklich noch viel Verbesserungspotential!
Jaaaa! Genau, liebe Maria! Genau dafür ist es so wichtig. Sonst sitzen wir kleinen Hebammen doch immer nur am Katzentisch. Aber wir müssen auf Augenhöhe mitreden können. Und dafür – das ist nunmal so in unserer Gesellschaft, braucht man ebenso einen gewissen Status. Blöd, aber wahr.
Danke für diese gute Ergänzung.
Und dass das Studium den Horizont erweitert, na klar, dass sehe ich genauso.
Hey, ganz viel Erfolg beim Master und allem was danach kommt.
Liebe Grüße
Jana
Liebe Jana,
Schön, dass das Studium dir so viel Freude macht. Ich überlege auch mich für das Wintersemester zu bewerben und wollte dich fragen, ob man für das Studium in einer Klinik angestellt arbeiten bzw. ob man überhaupt geburtshilflich Tätig sein muss?
Alles gute dir auf deinem Weg.
Liebe Grüße, Miriam
Liebe Miriam, es ist egal wie du arbeitest. Du kannst auch freiberuflich tätig sein. Du musst es nur irgendwie nachweisen.
Mach das. Bewirb dich! ich kann es nur empfehlen.
LG
Jana
Hi Jana,
Bitte berichte weiter! Ich bin Tierärztin, fand Geburtshilfe schon immer toll und Dank meiner grandiosen Hebamme (Meine Tochter ist fast 11 Monate) finde ich den Hebammenberuf unglaublich spannend und würde am liebsten gleich selber (nochmal ) losstudieren!
Liebe Grüße Ann-Kathrin
Liebe Ann-Katrin, das mache ich sehr gerne. Wie toll, dass du so ne gute Hebamme hattest, die dich sogar für den Beruf angefixt hat. 😉
Ganz liebe Grüße
Jana
Ganz viel Freude wünsche ich dir beim Studium! Neben all den persönlichen Nutzen für dich, ist es wichtig, dass erfahrene Hebammen den Unis/FHs ein Feedback geben, ob ihre Lehre sinnvoll oder zu abgehoben ist.
Achja, zum Thema Bezahlung: Ich bin promoviert, nicht mehr an der Uni und kriege das Gehalt einer Verwaltungskraft. Trotzdem möchte ich meine Zeit an der Uni nicht missen. Die dort erlernte wissenschaftliche, rationale Denkweise hilft oft Zusammenhänge anders zu betrachten.
Also: Viel Freude und vor den Prüfungen das bewusste Atmen nicht vergessen! 😉
Vielen Dank. Ich denke auch: selbst wenn ich nichts weiter mit dem Studium anfangen würde, wäre es eine Riesenbereicherung.
LG
Jana
Hallo Jana,
ich finde es toll, dass du mit deiner jahrzentelangen Erfahrung den Weg an die Hochschule findest. Letztlich können die jungen ‘von-Anfang-an-Studierenden’ und auch die Dozenten von Quereinsteigern nur profitieren. Diese bringen einfach die nötige Lebenserfahrung mit dem Lebensbeginn mit und können so vielleicht die kritische Auseinandersetzung mit Theorien und Studien stärker anregen, als das der Fall wäre, wenn immer nur die “jungen” zusammensitzen.
Eingentlich fast schade, dass diese Mischung potentiell geringer wird, wenn alle von Anfang an studieren. Gut aber, dass die Hebammen auf die ganz lange Sicht durch ein Studienabschluss wahrscheinlich als gleichwertiger mit Ärzten betrachtet werden und eine Chance auf eine ‘Normalisierung’ von Schwangerschaft und Geburt besteht (im Vergleich zur aktuell eher pathologisierten Sicht auf diese besondere Zeit).
Ich bin zwar keine Hebamme, aber ich bewundere eure Arbeit und hoffe, dass ein guter Weg gefunden wird, die sehr menschliche praktische Arbeit der Geburtshilfe auch in einem Studium zu vermitteln.
Liebe Grüße
Nicky
Liebe Jana
Vielen Dank für den spannenden Uni-Einblick.
Vor jahren wollte ich diese Ausbildung ebenfalls beginnen. Leider scheitete es am finanziellen und dann wurde ich das erste Mal schwanger. Nun habe ich letsten Sommer mein viertes Kind zu Hause bekommen, absolut entspannt und schmerzfrei, einfach wunderschön.
Der Wunsch, diese Erfahrungen weiterzugeben ist (immer noch) da, aber realistischerweise wirds eher schwierig. Mal schauen, vielleicht packt es mich in ein paar Jahren doch noch, wenn ich genug auf deinem Blog gelesen habe 🙂
Liebe Grüsse Sandy
Liebe Sandy, zumindest bei uns darf man (und muss man sogar) nebenher arbeiten. Insofern verdient man zumindest auch Geld, während des Studiums.
Das funktioniert ganz gut.
Aber ich glaube, du hast jetzt erst einmal andere, tolle Herausforderungen mit deiner Großfamilie. Respekt!
Das Studium läuft nicht weg.
Ganz liebe Grüße
Jana